Die Menschheitsseele (Gedicht)

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Die Menschheitsseele ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

          Die Menschheitsseele.
Ich war bei dir, in einem andern Leben,
  Und doch, ein andres Leben war es nicht.
Ich sah dich wie in Lichtes Fluthen schweben,
  Und doch und doch gebrach es mir an Licht.
Ich war bei dir, ich weiß nicht, ob am Tage,
  Ob auch vielleicht in sternenarmer Nacht,
Und finde keine Antwort auf die Frage,
  Welch Intervall mich dir emporgebracht.
Es schien mir wie in unbekannter Ferne,
  Und doch war diese Ferne mir bekannt;
Du strahltest wie auf einem andern Sterne,
  Und doch war dieser Stern mein Vaterland.
Wir trafen uns so weltenabgelegen,
  Ich weiß es nicht, in welchem Geisterreich;
Du kamst wie eine Fremde mir entgegen,
  Und doch und doch erkannte ich dich gleich.
Ich hatte dich so oft, so gern gesehen,
  Als pilgernd ich zum Morgenlande kam;
Ich sah dich leiden, und so ists geschehen,
  Daß ich dein Bild im Herzen mit mir nahm.
Du gingst von dort nach allen, allen Landen,
  Doch, wo du grüßtest, dankte man dir kaum.
So bliebst du unbeachtet, unverstanden,
  Ein armes Weib der Menschheit Jugendtraum.
Nun war ich bei dir, jetzt, emporgetragen
  Von meiner Liebe, die dir treu verblieb,
Denn wie sie dich geliebt in jenen Tagen,
  So hat dich meine Seele jetzt noch lieb.
Und wie mein Herz dein Weh mit dir gelitten,
  Der Menschheit großes, selbstverschuldet Leid,
So hab ich muthig stets für dich gestritten
  Und bin für dich auch ferner kampfbereit.
Mir ist ja die Erkenntniß aufgegangen,
  Die leider nicht ein Jeder in sich trägt,
Daß der Verwandtschaft Bande uns umfangen
  Und daß mein Puls grad wie der deine schlägt.
Ich weiß es, daß ich mit dir steh und falle,
  Daß deine Zukunft auch die meine ist
Und daß als leiser Ton ich mit erschalle
  In dem Accorde, dessen Klang du bist.
Als dieser Ton bin ich emporgeklungen
  Auch heut zu dir und klinge fort und fort;
Als dieser Ton hab ich auch mitgesungen
  Dein Klagelied, dein holdes Friedenswort.
Ich weiß es wohl, es wird umsonst erklingen,
  So viel der Mensch vom Völkerfrieden spricht;
Ihn kann ja nur die wahre Liebe bringen,
  Und diese, diese kennt der Mensch noch nicht.
Ich dachte dein und durfte zu dir steigen;
  Es war so licht, so hell, so klar bei dir,
Und dennoch konntest du dich mir nicht zeigen,
  Denn dunkel, menschendunkel wars bei mir.
Du gingst vorüber, und in frommer Feier
  Verklang in mir der Wehmuth heilger Ton;
Es legte sich um mich der Hoffnung Schleier – –
  Du warst verschwunden, warst der Welt entflohn.[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Himmelsgedanken.[Bearbeiten]

Am 18. Dezember 1900 erschien ein Gedichtband Mays mit dem Titel Himmelsgedanken im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld.[2] In dieser Ausgabe ist das Gedicht auf den Seiten 350 bis 353 enthalten. Der auf der folgenden Seite abgedruckte Aphorismus lautet:

Die Grenze zwischen Land und Wasser verläuft meist nicht in gerader Linie. So hat auch im Menschen die Scheidelinie zwischen dem Guten und dem Bösen ihre Buchten und Winkel, welche der Bildung von Sümpfen Vorschub leisten.[3]

Der dankbare Leser[Bearbeiten]

Am 13. Januar 1902 wurde Karl Mays Streitschrift "Karl May als Erzieher" und "Die Wahrheit über Karl May" oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren May-Leser anonym im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld veröffentlicht.[4] In diesem Buch findet sich das Zitat einer Kritik, in der auch das Gedicht Die Menschheitsseele erwähnt wird. Darin heißt es:

Wunderbar schön im Ausdruck und erhaben im Gedanken ist das Gedicht: "Die Menschheitsseele": Man könnte über dieses eine Gedicht ein Buch schreiben und würde den Inhalt doch nicht erschöpfen. In der ganzen Sammlung ist   n i c h t   e i n   Gedicht, das   n e b e n   d e m   r e l i g i ö s - p h i l o s o p h i s c h e n   W e r t e   n i c h t   a u c h   e i n e n   l i t t e r a r i s c h e n   W e r t   h ä t t e;   ja, viele der Gedichte können als klassisch bezeichnet werden.[5]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

  • Karl May: Himmelsgedanken. Gedichte. Union Verlag Berlin [Ost] 1988, S. 166–168. ISBN 3-372-00103-6 [Neusatz]
  • Karl May: Himmelsgedanken. In: Karl May: Lichte Höhen. Lyrik und Drama. Karl-May-Verlag BambergRadebeul 1998, S. 250–253. ISBN 3-7802-0049-X [modernisierter Neusatz]
  • Karl May: Himmelsgedanken. Gedichte. Books on Demand GmbH Norderstedt 2005, S. 350–353. ISBN 3-8334-2518-0 [Reprint]

Sonstiges[Bearbeiten]

Bei May ging das religiöse Empfinden wohl doch tiefer als bei manchem oberflächlich-süßlich dahindichtenden religiösen Lyriker seiner Zeit; ein Gedicht wie "Die Menschheitsseele" beweist, daß Religiöses und "private" Seelenkämpfe in seinen Gedichten zu einer durchaus sinnvollen Einheit verschmelzen konnten. Wenn man also Mays "späte" Lyrik mit anderen Iyrischen Ergüssen der damaligen Zeit vergleicht, schneidet sie weitaus besser ab als in den meisten kritischen Beurteilungen von damals bis heute.[6]

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Himmelsgedanken, S. 350–353.
  2. Hainer Plaul/Gerhard Klußmeier: Illustrierte Karl-May-Bibliographie, S. 244.
  3. Karl May: Himmelsgedanken, S. 354.
  4. Hainer Plaul/Gerhard Klußmeier: Illustrierte Karl-May-Bibliographie, S. 254.
  5. Karl May: "Karl May als Erzieher" und "Die Wahrheit über Karl May" oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren May-Leser. Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld Freiburg i. B. 1902, S. 45 f. (Onlinefassung) Auch in: Karl May: Meine dankbaren Leser. Karl-May-Verlag Bamberg-Radebeul 2005, S. 96 f.
  6. Lorenz: Anmerkungen zu Karl Mays Lyrik, S. 133.

Literatur[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]