Des Schneiders Fluch (Gedicht)

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Des Schneiders Fluch ist eine Parodie Karl Mays auf Ludwig Uhlands Des Sängers Fluch. Das Gedicht Mays ist nur auszugsweise überliefert.

Text

"Die Hypotheken lauern
  Schon heut auf euern Sturz.
Ihr hörts, verruchte Mauern,
  Ich mach' es mit euch kurz!"[1]

Textgeschichte

Karl May zitiert das Gedicht in seiner Autobiographie Mein Leben und Streben, um seinen Seelenzustand Anfang der 1860er Jahre zu illustrieren:

Wenn ich mir ein religiös oder ethisch oder ästhetisch hohes Thema stellte, empörte sich die dunkle Gestalt in mir mit aller Macht dagegen und bereitete mir Qualen, die ganz unaussprechlich sind. Um zu zeigen, in welcher Weise das vor sich ging und was für Qualen das waren, will ich ein erläuterndes Beispiel bringen: Ich hatte den Auftrag erhalten, eine Parodie von »des Sängers Fluch« von Uhland zu schreiben. Ich tat es. Die Parodie bekam den Titel »des Schneiders Fluch«. Ein Schneider verfluchte einen Schuster, sein baufälliges Häuschen und winziges Gärtchen, in dem nur zwei Stachelbeerbüsche standen. Bei der Verfluchung des Häuschens kam es zu folgenden Zeilen:
  "Die Hypotheken lauern [...]
Diese Parodie dichtete ich, ohne innerlich dabei gestört zu sein. Gegen so niedrige Sachen gab es nicht die geringste Empörung in mir. Nur die lichte Gestalt verschwand; sie trauerte, denn mein Können reichte zu Besserem und Edlerem aus. Einige Zeit später hatte ich ein Lehrgedicht zu schreiben, von dem mir jetzt nur noch folgende Strophen gegenwärtig sind:
  "Wenn ihr erst selbst das Wort verstanden, [...]
Kaum hatte ich mich hingesetzt, um die Disposition zu diesem hochstrebenden Gedicht niederzuschreiben, so trat eine seltene Klarheit in mir ein, ich sah das frohe Lächeln der lichten Gestalt, und hundert schöne, edle Gedanken eilten herbei, um von mir aufgenommen zu werden. Ich griff zur Feder. Da aber war es plötzlich, als ob ein schwarzer Vorhang in mir niederfalle. Die Klarheit war vorüber; die lichte Gestalt verschwand; die dunkle tauchte auf, höhnisch lachend, und überall, durch mein ganzes inneres Wesen, erscholl es wie mit hundert Stimmen "des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch u.s.w.!" So klang es stunden- und stundenlang in mir fort, endlos, unaufhörlich und ohne die geringste Pause, nicht etwa nur in der Einbildung, sondern wirklich, wirklich. Es war, als ob diese Stimmen nicht in mir, sondern grad vor meinem äußern Ohr ertönten. Ich gab mir alle Mühe, sie zum Schweigen zu bringen, doch war das, so lange ich die Feder in der Hand hielt und zum Schreiben sitzen blieb, vergeblich. Auch als ich aufstand, klangen sie fort, und nur als mir der Gedanke kam, auf das Lehrgedicht zu verzichten, trat augenblicklich Schweigen ein. Da ich aber mein Versprechen, es anzufertigen, halten mußte, so griff ich bald wieder zur Feder. Sofort erklang der Stimmenchor von Neuem "des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch!" und als ich trotzdem alle meine Gedanken auf meine Aufgaben konzentrierte, kamen die lautgebrüllten Sätze hinzu "Die Hypotheken lauern, die Hypotheken lauern; ihr hörts, verruchte Mauern, ihr hörts, verruchte Mauern!" Das ging den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch und auch dann noch immer weiter. Kein anderer Mensch sah und hörte es; Niemand ahnte, was und wie furchtbar ich litt. Jeder Andere hätte das als Wahnsinn bezeichnet, ich aber nicht. Ich blieb kaltblütig und beobachtete mich. Ich setzte es trotz aller Gegenwehr durch, daß mein Gedicht zur vereinbarten Zeit fertig wurde. Aber derartige Siege hatte ich immer sehr teuer zu bezahlen; ich brach dann innerlich zusammen.[2]

Nach Karl Mays Entlassung aus dem Zwickauer Arbeitshaus Schloss Osterstein, wo er von 1865 bis 1868 seine Haftstrafe absaß, begegnete ihm – laut Selbstbiographie – auf dem Heimweg nach Ernstthal das Gedicht ein weiteres Mal:

Meine Gedanken wurden trüber und trüber, je mehr ich mich der Heimat näherte. Es war, als ob mir von dort aus böse Ahnungen entgegenwehten. Meine frohe Zuversicht schien mich verlassen zu wollen; ich mußte mir Mühe geben, sie festzuhalten. Von der Lungwitzer Höhe aus schaute ich über das Städtchen hin. Da schlängelten sich vor meinen Augen die Wege, die ich damals so oft gegangen war, in heißem Kampfe mit jenen fürchterlichen innern Stimmen liegend, die mir Tag und Nacht hindurch in einem fort die Worte "des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch" zuriefen. Und was war das? Indem ich hieran dachte, hörte ich ganz dieselbe Stimme erklingen, in mir, ganz deutlich, wie erst nur von Weitem, aber sie schienen sich zu nähern, "des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch, des Schneiders Fluch!" Sollte und wollte sich das etwa wiederholen? Ich erschrak, wie ich noch nie erschrocken bin, und eilte von dieser Stelle und von dieser Erinnerung fort, die Höhe hinab, durch das Städtchen hindurch, nach Hause, nach Hause, nach Hause![3]

aktuelle Ausgaben

Aktuelle Ausgaben der Autobiografie Mein Leben und Streben sind in der Bücherdatenbank zu finden.

Sonstiges

Hartmut Kühne bemerkt zum Jahr 1864 in Karl Mays Leben:

[...] am 24. 4. 1864 wird in der Schießhaus-Restauration [in Ernstthal] als erste Darbietung eine Deklamation von Uhlands 'Des Sängers Fluch' ohne Namensnennung angekündigt. Man sieht einen Zusammenhang mit Karl Mays Parodie des Titels 'Des Schneiders Fluch', von der er in der Selbstbiographie berichtet.[4]

Anmerkungen

  1. Karl May: Mein Leben und Streben. in: Karl Mays Werke, S. 70772 (vgl. KMW-VI.3, S. 115).
  2. Karl May: Mein Leben und Streben. In: Karl Mays Werke, S. 70772–70774 (vgl. KMW-VI.3, S. 115–117).
  3. Karl May: Mein Leben und Streben. In: Karl Mays Werke, S. 70822 f. (vgl. KMW-VI.3, S. 154).
  4. Hartmut Kühne: Musik in Karl Mays Leben und Werk. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1996, S. 39–77 (S. 43). (Onlinefassung)

Weblinks