Die fürchterlichste Nacht (Gedicht)

Aus Karl-May-Wiki
Version vom 17. Juni 2018, 14:29 Uhr von Tamarin (Diskussion | Beiträge) (Textersetzung - „http://www.karl-may-gesellschaft.de“ durch „https://www.karl-may-gesellschaft.de“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die fürchterlichste Nacht ist ein frühes Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

Handschrift
   Die fürchterlichste Nacht.
Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt
  Bei hohlem Wind und schwerem Regenfall,
Die Nacht, in der kein Stern vom Himmel blinkt,
  Dein Aug durchdringt des Wetters dichten Wall?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen
O lege Dich zur Ruhe, und schlafe ohne Sorgen!
Kennst Du die Nacht, die auf das Leben sinkt,
  Wenn dich der Tod auf's letzte Lager streckt
Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,
  Daß dir der Puls in allen Adern schreckt?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen
O lege dich zur Ruhe, und schlafe ohne Sorgen!
Kennst Du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
  Daß er vergebens nach Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich um die Seele schlingt
  Und tausend Teufel in's Gehirn dir speit?
O halte fern dich ihr in wachen Sorgen,
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen![1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Manuskript[Bearbeiten]

Dies ist eines der frühesten Gedichte Karl Mays. Es könnte im Spätherbst 1863 geschrieben worden sein. Die OriginalhandschriftMax Finke weist auf das Zittrige, Beengende und Beängstigende der Urschrift hin[2] – hat keinen Titel und unterscheidet sich von der veröffentlichten Version in der dritten Zeile der dritten Strophe. Statt wie im Original ums Gedächtniß heißt es in der gedruckten Version um die Seele.

Hainer Plaul dagegen datiert das Gedicht auf die (späten) Waldheimer Jahre.[3]

im Waldröschen[Bearbeiten]

Im Roman Waldröschen leitet dieses Gedicht in der Erstausgabe das fünfte Kapitel Zum Wahnsinn verurtheilt ein (6. Lieferung, 30. Dezember 1882). Die Unterschiede zur spätesten Fassung sind gering:

  • Zeile 2: Bei hohlem Wind und scheuem Regenfall,
  • Zeile 3: Die Nacht, in der kein Stern am Himmel blinkt,
  • Zeile 6 und 12: O, lege Dich zur Ruhe, und sei ohne Sorgen!
  • Zeile 14: Daß er vergebens laut um Hilfe schreit,
  • Zeile 15: Die schlangengleich sich um's Gedächtniß schlingt
  • Zeile 17: O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen,

1904 wurde diese Fassung von Adalbert Fischer in den Sammelband Sonnenstrahlen aus Karl Mays Volksromanen aufgenommen.

in Der Scout/Winnetou II[Bearbeiten]

In der Reiseerzählung Der Scout (1888/89; 1893 in Winnetou II eingearbeitet) veröffentlichte May die Version als angebliches Werk von William Ohlert – einem geistig hochgradig zerrütteten jungen Mann, der vom als Detektiv tätigen Ich-Erzähler gesucht wird:

Sollte er seinen Aufenthalt in New Orleans dazu benutzt haben, eine Reimerei an das Publikum zu bringen? Vielleicht war die Veröffentlichung so schnell erfolgt, weil er die Aufnahme bezahlt hatte. Bewahrheitete sich meine Vermutung, so konnte ich durch dieses Gedicht auf die Spur der Gesuchten gebracht werden. Ich las also:
Die fürchterlichste Nacht.
[...]
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!
                                                                W.O.
Ich gestehe, daß die Lektüre des Gedichtes mich tief ergriff. Mochte man es für literarisch wertlos erklären, es enthielt doch den Entsetzensschrei eines begabten Menschen, welcher vergebens gegen die finstern Gewalten des Wahnsinns ankämpft und fühlt, daß er ihnen rettungslos verfallen müsse. Doch schnell überwand ich meine Rührung, denn ich mußte handeln. Ich hatte die Ueberzeugung, daß William Ohlert der Verfasser dieses Gedichtes sei, suchte im Directory nach der Adresse des Herausgebers der Zeitung und begab mich hin.[4]

Eine Prosafassung des Gedichts – Hedwig Pauler erblickt darin eine Parodie[5] – liefert der Schmied Lange:

"[...] Dieser Master Ohlert schien ein ganz braver und ungefährlicher Mensch zu sein, aber ich möchte wetten, daß er einen kleinen Klapps hatte. Und endlich zog er ein Blatt mit einer Reimerei hervor, welche er mir vorlas. Es war da die Rede von einer schrecklichen Nacht, welche zweimal hintereinander einen Morgen, aber das drittemal keinen Morgen hatte. Es kamen da vor das Regenwetter, die Sterne, der Nebel, die Ewigkeit, das Blut in den Adern, ein Geist, der nach Erlösung brüllt, ein Teufel im Gehirn und einige Dutzend Schlangen in der Seele, kurz, lauter konfuses Zeug, was gar nicht möglich ist und auch gar nicht zusammenpaßt. Ich wußte wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich weinen sollte."[6]

Später bringt dieses Gedicht ein wenig Licht in das seelische Dunkel des Dichters:

Mir war ein Gedanke gekommen. Ich zog die Brieftasche hervor. Ich hatte das Zeitungsblatt mit Ohlerts Gedicht in derselben, nahm es heraus und las langsam und mit lauter Stimme den ersten Vers. Ich glaubte, der Klang seines eigenen Gedichtes werde ihn aus seiner geistigen Unempfindlichkeit reißen. Aber er blickte fort und fort auf sein Knie nieder. Ich las den zweiten Vers, ebenso vergeblich. Dann den dritten:
"Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
Daß er vergebens um Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich ums Gedächtnis schlingt
Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?"
Die letzten beiden Zeilen hatte ich lauter als bisher gelesen. Er erhob den Kopf; er stand auf und streckte die Hände aus. Ich fuhr fort:
"O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen – – –
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!"
Da schrie er auf, zu mir hinspringend und nach dem Blatte greifend. Ich ließ es ihm. Er bückte sich zu dem Feuer nieder und las selbst, laut, von Anfang bis zu Ende. Dann richtete er sich auf und rief in triumphierendem Tone, so daß es weit durch das nächtliche stille Tal schallte:
"Gedicht von Ohlert, von William Ohlert, von mir, von mir selbst! Denn ich bin dieser William Ohlert, ich selbst. Nicht du heißest Ohlert, nicht du, sondern ich!"[7]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Erzähltexte sind in der Bücherdatenbank zu finden:

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Winnetou II. In: Karl Mays Werke, S. 51126 f.
  2. Max Finke: Aus Karl Mays literarischem Nachlaß (I) – Nr. 3 "Kennst du die Nacht". In: Karl-May-Jahrbuch 1920, 77 f. (Onlinefassung)
  3. Hainer Plaul: Resozialisierung durch "progressiven Strafvollzug". Über Karl Mays Aufenthalt im Zuchthaus zu Waldheim von Mai 1870 bis Mai 1874. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1976, S. 134.
  4. Karl May: Winnetou II. In: Karl Mays Werke, S. 51126 f.
  5. Pauler, S. 133.
  6. Karl May: Winnetou II. In: Karl Mays Werke, S. 51223.
  7. Karl May: Winnetou II. In: Karl Mays Werke, S. 51460 f.

Literatur[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]