Du stehst bei mir; ich sehe dich im Licht (Gedicht): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 17. Juni 2018, 13:42 Uhr

Du stehst bei mir; ich sehe dich im Licht ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

Du stehst bei mir; ich sehe dich im Licht,
wie ich dich nie vorher so licht gesehn.
Bist du die Liebe? Bist du dies Gedicht?
Was ist mit dir, was ist mit mir geschehn?
Hab ich an dich, die Liebe, denn gedacht,
als meine Seele noch am Eifer hing?
O sag, wer hat dich zum Gedicht gemacht,
grad als ich mich so schwer an dir verging?
Wer drückte Petri Schwert mir in die Hand,
vor welchem nur der Knecht den Nacken beugt?
Wer machte es in ihr zum Feuerbrand,
der gegen meinen eigenen Glauben zeugt?
Wer gab mir aus der Heimat Alles mit,
was christlich heißt und doch nicht christlich ist – – –?
War's der etwa, der an dem Kreuze litt – – –?
Sag mir, o Christus, sag, ob du es bist!
O nein, o nein; so weit der Himmel reicht,
erklingt noch heut dein großes Liebeswort,
und jeder Tag, der aus dem Morgen steigt,
verkündet es der Menschheit weiter fort.
Du hast gelebt – – zu unserer Seligkeit;
du hast geliebt – – geliebt die ganze Welt;
im Leben der Geringste deiner Zeit,
bist du im Lieben ewig, ewig Held!
Gib mir die Hand! Ich will dein Eigen sein;
du hast mich früher ja so oft geführt.
Ich handle falsch, ich gehe irr allein;
das hab ich, als du fehltest, ja gespürt.
Du gingst zwar fort, in jenes Christenland,
wo auch die seligen Heiden Christen sind,
doch ist dir ja der Weg zu mir bekannt;
o komm, o komm, du lichtes Himmelskind![1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht findet sich in der Reiseerzählung Et in terra pax/Und Friede auf Erden! (1901/1904), die zu Karl Mays Spätwerk gehört. Es ist eins der Gedichte, die der Missionar Waller im Wahnsinn auf seinem Krankenbett spricht:

Da horch! Es gab drin im Gemache ein Geräusch. Ich ging leise hinein. Der Kranke lag im Schatten, doch konnte ich seine Gesichtszüge unterscheiden. Er sprach sehr, sehr leise mit sich selbst. Da setzte ich mich an den Tisch und lauschte. Das Flüstern wurde vernehmbarer. Ich konnte einzelne Worte, dann aber bald ganze Sätze verstehen. Für mich waren sie ohne Zusammenhang, wohl aber nicht für ihn. Doch plötzlich rief er so laut und so deutlich, als ob es Viele, sehr Viele hören sollten:
  "Gebt was Ihr bringt, doch bringt nur Liebe mit,
  Das Andere alles sei daheim geblieben!"
Woher hatte er diese Zeilen? Natürlich von seiner Tochter! Aber auf welche Weise? Kann ein Mensch, der ohne Besinnung liegt, sehen oder hören und sich sogar auch merken, was Andere lesen? Indem ich mich dies fragte, fuhr er mit wieder gesunkener Stimme fort:
"Du stehst bei mir; ich sehe dich im Licht, wie ich dich nie vorher so licht gesehn. Bist du die Liebe? Bist du dies Gedicht? Was ist mit dir, was ist mit mir geschehn? Hab ich an dich, die Liebe, denn gedacht, als meine Seele noch am Eifer hing? O sag, wer hat dich zum Gedicht gemacht, grad als ich mich so schwer an dir verging?"
Er schloß in leisem, klagendem Tone, langsam und ruhig sprechend; nun aber fuhr er hastig fort:
"Wer drückte Petri Schwert mir in die Hand, vor welchem nur der Knecht den Nacken beugt? Wer machte es in ihr zum Feuerbrand, der gegen meinen eigenen Glauben zeugt? Wer gab mir aus der Heimat Alles mit, was christlich heißt und doch nicht christlich ist – – –? War's der etwa, der an dem Kreuze litt – – –?"
Er hob die dürre, skelettartige Hand empor, als ob er eine Vision vor sich habe, und schloß, schwer und wieder langsam sprechend:
"Sag mir, o Christus, sag, ob du es bist!"
Die Hand blieb einige Zeit erhoben; dann sank sie ruckweise, wie zögernd, nieder. Ueber seine soeben noch erregten Züge glitt ein helles, warmes Lächeln; er schüttelte wenn auch nur schwach, doch bemerkbar den Kopf und sprach, sich selbst beantwortend:
  "Grad weil sie einst für Euch den Tod erlitt,
  Will sie durch Euch nun ewig weiter lieben.
Hierauf legte er die Hände zusammen wie ein Kind, welches sich über Etwas freut, und sprach in frohem Tone weiter:
"O nein, o nein; so weit der Himmel reicht, erklingt noch heut dein großes Liebeswort, und jeder Tag, der aus dem Morgen steigt, verkündet es der Menschheit weiterfort. Du hast gelebt – – zu unserer Seligkeit; du hast geliebt – – geliebt die ganze Welt; im Leben der Geringste deiner Zeit, bist du im Lieben ewig, ewig Held!"
Trotz seiner großen Schwäche hatte er seine Stimme zum Tone der Begeisterung erhoben. Das schien ihn angegriffen zu haben; er schloß die Augen, welche er offen gehabt hatte, und lag längere Zeit ohne Wort und Bewegung da. Dann sah ich, daß er die Hand erhob und sie bewegte, als ob er Jemand zu sich herwinke. Dabei sagte er:
"Gib mir die Hand! Ich will dein Eigen sein; du hast mich früher ja so oft geführt. Ich handle falsch, ich gehe irr allein; das hab ich, als du fehltest, ja gespürt. Du gingst zwar fort, in jenes Christenland, wo auch die seligen Heiden Christen sind, doch ist dir ja der Weg zu mir bekannt; o komm, o komm, du lichtes Himmelskind!"
Wer war es, der ihm in Gestalt seiner Frau vorschwebte? Ein Truggebilde, ihm vom Traume, vom Fieber, vom Wahnsinn vorgetäuscht? Er sprach mit diesem Wesen, in kurzen, abgebrochenen Sätzen, und so leise, daß ich nichts verstehen konnte. In den Zwischenpausen lauschte er, als ob er Antwort höre.[2]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Reiseerzählung sind in der Bücherdatenbank zu finden:

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Und Friede auf Erden! In: Karl Mays Werke, S. 64523–64525 (vgl. KMW-V.2, S. 403 f.); hier im Fließtext.
  2. Karl May: Und Friede auf Erden! In: Karl Mays Werke, S. 64522–64525 (vgl. KMW-V.2, S. 402–404).

Weblinks[Bearbeiten]