Hochzeitsbitter (Weg zum Glück)

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Hochzeitsbitter (Weg zum Glück)
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Der Weg zum Glück

Der namenlos bleibende Hochzeitsbitter ist ein ausgemachter Dorftrottel und insofern das genaue Gegenstück zum Fexen, der für dumm gilt, aber hochintelligent ist.

Obwohl eigentlich eine sehr ernsthafte Aufgabe, mitunter gar ein sehr seriöser Beruf, wurde hier der bornierteste Dummkopf damit betraut, den man sich nur vorstellen kann:

Dieser war ein sehr langer und pfahldürrer Kerl, hager zum Zerbrechen und mit einer Nase, welche eigentlich bestimmt gewesen schien, als Zeiger einer Sonnenuhr zu dienen. Sein Anzug war ein sonderbarer.
Er trug lange Stiefeln, von deren oberen Rand breite, bunte Schleifen herabhingen. In den Schäften dieser Stiefel steckte eine kurze Hose, deren rechte Hälfte roth, die Linke aber gelb aussah. Die Weste war grasgrün, und der Frack, dessen Schöße bis an den Boden reichten, war, ganz entgegengesetzt der Hose, rechts gelb und links roth. Zwei Vatermörder stachen aus einem himmelblauen Halstuche hervor. In der linken Hand hielt der Mann einen riesigen Regenschirm mit einem karmoisinfarbenen Ueberzug und in der rechten einen Dreispitz mit einem gelben Federbusch. An der Brust, dem Gürtel, den Achseln und Ellbogen waren bunte Bänder und Schleifen befestigt.
Das Allerbeste an dem Manne aber war unbedingt sein Gesicht. Etwas Dümmeres konnte es nicht geben. Die reichste Phantasie eines Malers hätte es nicht vermocht, dümmere Züge auf das Papier zu bringen, als diejenigen waren, welche dieser Mann hatte. Und zwar sah man auf dem ersten Blick, daß er sich nicht etwa verstellte, sondern daß diese Dummheit sein wirkliches, unbestrittenes Eigenthum sei.
Das war der Hochzeitsbitter des Dorfes, von welchem bereits im Walde erwähnt worden war, daß man, wenn er gesprochen habe, nicht wisse, ob er zu einer Hochzeit, einer Kindtaufe, einem Begräbnisse oder einem Schweinschlachten eingeladen habe. Er hatte das Amt, welches er bekleidete, wohl aus reiner Ironie, höchstens aus Mitleid erhalten, um sich zuweilen eine Kleinigkeit verdienen zu können, da er zu einem einträglichen und geordneten Geschäft oder Handwerk die Gabe nicht besaß.
Dennoch hielt er sich keineswegs für so albern, wie er war. Er meinte, ein verkanntes und verfolgtes Genie zu sein. Seine größte Leidenschaft war es, eine Rede zu halten, und das war ein Unglück für ihn und eine ewige Quelle der Heiterkeit für Diejenigen, welche ihm zuhörten.
Als er die Thür hinter sich zugezogen hatte, trat er drei kleine, zierliche Tanzmeisterschritte vor, verbeugte sich mit der Grandezza des vorigen Jahrhunderts, schwenkte Hut und Regenschirm leise einmal hin und her und fragte:
"Hab ich die Ehr, meine Herrschaften?"
"Welche Ehre meinen Sie?" fragte der Baron.
"Die große Ehr."
"Nur weiter! Welche?"
"Sie zu sehen?"
"Ja, diese Ehre haben Sie."
"Nämlich den Herrn Baron zu sehn?"
"Gewiß."
"Ich mein halt den Herrn Baron von Stauffen?"
"Der bin ich."
"Mit den zwei lieblichen Kindern der Schönheit?"
Er machte jeder der jungen Damen eine Verbeugung, wie er übrigens bei jeder Frage eine solche gemacht hatte.
"Diese Damen sind meine Töchter."
"Die natürlichen aber!"
Der Baron blickte fast zornig auf, machte aber sofort wieder ein lächelndes Gesicht, als er das Schafsgesicht des Mannes sah.
"Ja, meine natürlichen Töchter."
In gleicher Weise war die dem Schafsgesicht vom Schneider einstudierte und jedenfalls unter dem Patronat des Konfusius geschaffene Rede gestaltet, von der zwei Absätze reichen mögen:
"Damals, als der Vater Abraham mit dem Apostel Paulus in Paris zusammentroffen ist und der Apostel hat noch nicht heirathet gehabt, hat der Erzvater Abraham zu ihm sagt: Es ist nicht gut, daß zwei Menschen allein seien; ich geb Dir eine Frauen und Du giebst mir eine; nachhero ist uns allen Beiden geholfen."
Er wischte sich die Stirn ab und fuhr fort:
"Da hat der Apostel Paulus die Sarah genommen, und der Vater Abraham hat die Judith geheirath, nicht auf dem Standesamt, wies jetzund Mod ist, sondern in der Kirchen allein, wie sichs schickt und gehört und wies auch schon allbereits damals war. Und nachhero drei Jahr später, als der Kaiser Rothbart in Bethlehem den Kindermord hat tödten lassen, ist eins davon ins Wasser fallen und der Moses hats heraus zogen und gerettet; darum ist die Wassertaufen eingerichtet worden bei den Kindern Israel, alsgleich der Pharao nicht hat dulden wollen. Aber grad ihm zum Trotz taufen wir noch heut zu Tags die Jungs und die Mäderls, damit die Hebamm Etwas verdienen kann und ich auch."[1]

Karl May kannte natürlich die Aufgaben eines Hochzeitsbitters sehr genau. Die Klamaukzeichnung dieses Charakters, der nie weiß, was er sagt, noch gar ein Wort davon versteht, dient hier dem Zweck, einerseits die vermeintliche Dummheit des Fexen der echten Dummheit gegenüberzustellen und andererseits andere Charaktere feiner zu nuancieren.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Der Weg zum Glück – Höchst interessante Begebenheiten aus dem Leben und Wirken des Königs Ludwig II. von Baiern. Erstausgabe Verlag H. G. Münchmeyer Juli 1886 bis August 1888, S. 190 f. (Onlinefassung)

Literatur[Bearbeiten]

Informationen zu Figuren in Karl Mays Werken finden Sie auch im Karl May Figurenlexikon.
Die zweite Auflage dieses Werkes finden Sie online auf den Seiten der KMG.