Leserbrief 178

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Franz und Josef Weigl - Bild aus Mays Leseralbum

Der 178. Leserbrief in Mays Broschüre "Karl May als Erzieher" und "Die Wahrheit über Karl May" oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren May-Leser lautet:

" - - - "Himmelsgedanken"! Fremdartig für das Milieu unserer Zeit, welcher im Kriechen inmitten des Stauben der Materie der Himmelsgedanke entschwand, Titel und Gehalt des Buches! Es ist das eine eigene Poesie, die mir hier entgegentritt; ihr Gewand ist schön, wohlgeformt die Gestalt, fließend ihr Wort! Und dessen Wesen? So oft ich drinnen lese, mutet es mich an, als ob ich beten würde, nimmer lesen, - beten in einem weltfernen, stillen Dom, den Urwaldrauschen umhüllt, so daß der Erde Getöse und das Gewoge der Menge nicht zu mir dringe, nicht mich störe. Und dann wieder ist es, wie wenn ein hypermaterialer Geist zu mir spräche, ernst und schwer mit dem wuchtigen Wort der Ueberzeugung: und so bin auch ich zu dem Schlusse gekommen, daß sie in diesen Himmelsgedanken - wie die Widmung besagt - Gottes Wünsche materialisierten: "Ich lieh diese Lieder; Sie sind mein Eigentum[1]"
Bei aller Freude aber, die ich empfinde in der Lectüre der "Himmelsgedanken", ist es doch auch das Gefühl der Wehmut, das mich beschleicht. Denn ich beginne dann zu trauern über alles das Verlorene, das ich beklagen muß; ich trauere, wenn ich merke, daß mir der echte, frohe Kinderglauben verloren ging auf meiner Bahn durchs Leben; noch zu weit bin ich - im Banne rationalistischen und materialistischen Wissenschaftswahns, wie er alle unsere modernen Wissenschaften, die meine vor allen, durchdringt - entfernt von der einen Wahrheit, von Gottes Erkennung[2]. Und was ich Liebe bisher nannte? Wenn ich an der Hand der Himmelsgedanken meine Seele durchforsche, was war meine Liebe, meine caritative Thätigkeit? Was meine gesamten altruistischen Gefühle? In dem einen Falle Egoismus, im andern ein Glänzenwollen, ein Prahlen, in einem dritten herablassenden Wohlthun, und so fürchte ich, am Tage des Wägens, wenn er heute einträte, nichts vorweisen zu können an Thaten der Liebe[3].
Wenn ich es könnte, ich würde diese Himmelsgedanken hineintragen in jede Hütte, jeden Palast und bitten, daß man sie lese, wie einen Runenstein aus dem verlorenen Paradies, den ein Wissender ausgrub. Mir sind die Gefährten stiller Stunden, in denen ich aus dem Alltagsgleichgewichte trete, zu meinem Herrgott flehe und um Erbarmen bete, bete, daß er mich segne und alle Menschen, segne, daß wir die Brücke der Prüfung alle heil überschreiten und bestehen El Mizan. Immer klingt in mir noch Ben Nurs Wort, und mit Basch Nazyr muß ich sagen: "Wie viele Worte Ben Nurs klangen so, als ob sie nur für mich gesprochen worden seien!" -
Sie haben gekämpft, gerungen, und abgeklärt vom Erdenschaum liegt Ihr leben friedlich da. Möge auch uns das werden!
Erst mit diesen beiden Sachen: "Am Jenseits" und den "Himmelsgedanken" sind Sie wirklich in Ihre gottgewollte Mission getreten. So schön die andern Schriften alle sind, so reich sie Gedanken bergen, die zum Himmel führen, die erheben, erfreuen, erbauen: - sie reichen nicht auf Meilen hin an diese beiden letzten. Losgetrennt von der Erde, wie Marah Durimeh, scheinen Sie mir nun an Ihrem Testamente zu schreiben. Gott führt Ihre Feder, Sie sind nur mehr sein williges Organ, ein Theophoras für Ihre Leser! Möchte doch auch unser Leben dadurch immer geistiger werden, freier von den Schlacken der Materie, freier in Gott und in seiner
Liebe, und so zu einem geklärten Sein. Herzlichen Dank für diese Lieder! Wir brauchten viele Stunden, sie durchzusprechen miteinander - und können´s nicht! In aufrichtiger Verehrung bin ich unter herzlichen Grüßen von allen meinen Lieben an Sie und Ihre Frau Gemahlin - mit dem Zurufe: "Frohe Weihnachten! Selige Weihnacht!" -
Ihr ergebener, dankbarer
Dr. W.

Verfasser[Bearbeiten]

Autor des Briefes vom 21. März 1900 ist Mays Freund Dr. Franz Weigl aus München.

Literatur[Bearbeiten]

Der vollständige Leserbrief wurde faksmiliert in Band 86 der Gesammelten Werke, "Meine dankbaren Leser", veröffentlicht.

Übersicht über die Leserbriefe

1 • 2 • 3 • 4 • 5 • 6 • 7 • 8 • 9 • 10 • 11 • 12 • 13 • 14 • 15 • 16 • 17 • 18 • 19 • 20 • 21 • 22 • 23 • 24 • 25 • 26 • 27 • 28 • 29 • 30 • 31 • 32 • 33 • 34 • 35 • 36 • 37 • 38 • 39 • 40 • 41 • 42 • 43 • 44 • 45 • 46 • 47 • 48 • 49 • 50 • 51 • 52 • 53 • 54 • 55 • 56 • 57 • 58 • 59 • 60 • 61 • 62 • 63 • 64 • 65 • 66 • 67 • 68 • 69 • 70 • 71 • 72 • 73 • 74 • 75 • 76 • 77 • 78 • 79 • 80 • 81 • 82 • 83 • 84 • 85 • 86 • 87 • 88 • 89 • 90 • 91 • 92 • 93 • 94 • 95 • 96 • 97 • 98 • 99 • 100 • 101 • 102 • 103 • 104 • 105 • 106 • 107 • 108 • 109 • 110 • 111 • 112 • 113 • 114 • 115 • 116 • 117 • 118 • 119 • 120 • 121 • 122 • 123 • 124 • 125 • 126 • 127 • 128 • 129 • 130 • 131 • 132 • 133 • 134 • 135 • 136 • 137 • 138 • 139 • 140 • 141 • 142 • 143 • 144 • 145 • 146 • 147 • 148 • 149 • 150 • 151 • 152 • 153 • 154 • 155 • 156 • 157 • 158 • 159 • 160 • 161 • 162 • 163 • 164 • 165 • 166 • 167 • 168 • 169 • 170 • 171 • 172 • 173 • 174 • 175 • 176 • 177 • 178 


Fußnoten im Leserbrief[Bearbeiten]

  1. Siehe "Widmung" pag. 1.
  2. Siehe pag. 134.
  3. Siehe pag. 336.