Warnung (Gedicht)

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Warnung, auch O gräme nie ein Menschenherz genannt, ist ein frühes Gedicht von Karl May.

Text

O gräme nie ein Menschenherz,
der Gram geht bis aufs Blut,
und all den Kummer, all den Schmerz
machst du nie wieder gut.
O mach, daß keine Thränen hier
ein Mensch um dich vergießt,
denn wiss' daß diese Thräne Dir
Ein ewig Schandmal ist.
Drum sorge, daß kein Herzeleid
du hier verschulden magst,
Es kommt die Stund, es kommt die Zeit,
Wo du es tief beklagst.
Dann stehst du am Grabesrande,
blickst in die Gruft hinab,
ach, das Dulderherz nur sandte
deine Härte in das Grab.
Dann fühlst du der Reue Kralle
mit noch nie geahntem Schmerz,
keine Trostesworte fallen
in das angsterfüllte Herz.
Raufst die Haare in Verzweiflung,
ringst umsonst die Hände, und
keine Stimme der Vergebung
dringet aus dem kühlen Grund.
Drum gräme nie ein Menschenherz,
der Gram geht bis aufs Blut,
und all den Kummer, all den Schmerz
machst du nie wieder gut.[1]

Textgeschichte

Motette

Karl Mays Gedicht ist der Text zu einer Motette, die möglicherweise bereits 1864 verfasst wurde. Die Komposition ist vierstimmig für Männerchor bestimmt sowie mit der No. 26 und einem Stempel Sängerkreis zu Ernstthal versehen.[2]

Der Text selbst ist vermutlich von Ferdinand Freiligraths Gedicht Der Liebe Dauer beeinflusst.[3]

in Der Giftheiner

In Karl Mays Dorfgeschichte Der Giftheiner (1879) ist das Gedicht in variierter Form als Lied zu finden. Hier ist es von Heinrich Silbermann in größtem Herzeleid gedichtet:

"Hast's gehört, Heiner?" frug sein Vater, welcher neben ihm saß. "Die hat aane Stimm' grad wie die Alwin', die sich schön wundern thät, wenn sie heut zugeg'n wär."
"Sie ist zugeg'n, aber wundern thut sie sich net."
"Zugeg'n? Ich seh doch nix von ihr!"
"Aber gehört hast' sie. Sie steckt hinter der Scen' und hat das Lied gesungen."
"Wa – wa – was? Die Alwin'? Ich denk', die Spielerin ist's gewes'n. Sie hat doch den Mund auf- und zugeklappt und grad so gethan als ob sie singt."
"Sie hat vielleicht kaane Stimm', und da ist die Alwin' für sie eingetret'n."
"Wenn das wahr ist, so hört nun All's und Verschiedenes auf! Läßt sich das Madel vom Kukuk verblend'n und singt gar schon im Theater. Die kann's noch weit bringen in der Welt. Heiner, Heiner! Und Du vertrittst ihr immer noch die Brück'!"
Heiner antwortete nicht. Er sprach überhaupt kein Wort mehr, ging nach der Vorstellung schweigsam nach Hause und stieg ebenso schweigsam hinauf in seine Kammer. Dort setzte er, statt zur Ruhe zu gehen, sich an den kleinen Tisch und starrte, in trübe Ahnungen und Gedanken versunken, vor sich hin. Dann tauchte er die Feder ein, und Zeile um Zeile floß es auf das Papier:
  "O gräme nie ein Menschenherz,
    Das Dein in treuer Liebe denkt;
  Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz,
    Der sich in seine Tiefen senkt!
  O mach, daß keine Thränenfluth
    Um Deinetwillen sich ergießt,
  Die Thräne ist des Herzens Blut,
    Mit dem das Leben auch entfließt.
  Drum sorge, daß kein Herzeleid
    Du jemals hier verschulden magst,
  Es kommt die Stund, es kommt die Zeit,
    Wo Du die schwere Schuld beklagst!"
Er steckte die Verse zu sich, und als er vernahm, daß der Vater sich schlafen legte, blies er das Licht aus und stieg leise und vorsichtig die Treppe wieder hinab. Die Hausthür unhörbar öffnend und wieder verschließend, blickte er sich um, ob er unbeobachtet sei; dann huschte er über die Straße hinüber in den Schulgarten, wo er in der Laube Platz nahm.[4]

Der Kantor macht später eine Melodie auf diesen Text, den ihm seine Tochter Alwine heimlich hat zukommen lassen:

Am andern Nachmittag saß der Kantor wie festgebannt am Klaviere, wo er an einem Manuskript arbeitete. Alwine lauschte und mußte heimlich lächeln, als er mit der Arbeit fertig war und nach den einleitenden Takten mit fester Baritonstimme begann:
  "O gräme nie ein Menschenherz,
  Das Dein in treuer Liebe denkt."
Er hatte also den Zettel gefunden und war von den darauf befindlichen Worten an das Instrument getrieben worden. Das Lächeln auf ihrem Gesichte aber verlor sich nach und nach, denn die Töne, welche sie hörte, waren dem Texte angemessen und ganz geeignet, hinunter bis ins tiefste Herz zu dringen.
"Wie schön, wie schön; das schreib ich mir ab!" meinte sie. "Es ist wirklich jammerschade um den Heiner, daß er nichts Besseres ist. Was könnte er für ein Dichter und mit seinem Tenor für ein Sänger werden, wenn er an ein Theater gehen wollte! Aber so einen Vorschlag darf ich ihm gar nicht machen, denn, so lieb ich ihn habe, mit seinen Ansichten ist und bleibt er doch vom Dorfe!"[5]

Jahre später findet Alma beim Kantor ein Notenblatt zu diesem Lied:

"Ich danke Ihnen, Herr Kantor!" antwortete sie freudig. "Darf ich Ihnen nicht auch Etwas vorsingen?"
Sie suchte unter den Noten. Da fiel ihr ein Titel in das Auge, bei dessen Anblicke es wie bei dem Wiedersehen eines lieben Freundes warm und licht über ihr Angesicht ging. Er konnte nicht erkennen, welche Blätter sie vor sich auseinanderschlug, aber beim Beginn der Einleitung fuhr er mit der Hand nach der Brust und machte eine Bewegung, als wolle er sie am Weiterspiele hindern. Doch da erklangen auch schon die ersten Worte des Liedes, welches er haßte, obgleich er es selbst in Musik gesetzt hatte, welches er nicht hören mochte, und doch seit Jahren Tag für Tag in Folge eines innern Gebotes hatte spielen müssen:
  "O gräme nie ein Menschenherz,
    Das Dein in treuer Liebe denkt;
  Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz,
    Der sich in seine Tiefen senkt!"
Es entging ihm, daß der Vortrag nicht vom Blatte, sondern aus dem Gedächtnisse geschah; er verfolgte nicht das weiche, eindringliche Motiv der Melodie in seinen kunstgerechten und doch so einfachen Wiederholungen und Umkehrungen, er vernahm nur die Worte des Textes, deren Ernst ihn noch nie so gepackt hatte, wie jetzt unter dem Eindrucke einer Stimme, die wie ein ungelöstes Räthsel an sein Ohr schlug.
Schon längst war der letzte Ton verklungen und noch immer harrte das Mädchen vergebens auf ein Wort aus dem Munde des tief ergriffenen Mannes. Und als er endlich sprach, geschah es leise und wie abwesend, als sei er der Gegenwart entrückt und befinde sich mitten unter den Gestalten einer längst vergangenen Zeit.
"Wo der Silberheiner nur die Gedanken hernimmt zu all den Liedern, die er dichtet! Sie klingen Einem bis hinein in die innerste Seele; man kann ihnen nicht widerstehen, und so oft er ein neues fertig hat, muß ich es komponiren, ich kann nicht anders. 'O gräme nie ein Menschenherz!' War das etwa eine Prophezeiung, eine Warnung für mich? [...]"[6]

in Waldröschen

Die ersten zwölf Zeilen des Gedichts leiten in Karl Mays Kolportageroman Waldröschen (18821884) in der 1. Abtheilung das 10. Kapitel Die Zingarita ein.

in Der Weg zum Glück

Das Gedicht ist als Lied in Karl Mays Roman Der Weg zum Glück (18861888) zu finden, nämlich im 5. Kapitel Der Silberbauer. Hier erinnert sich Max Walther nach einem Gespräch mit Martha Claus an das Gedicht und zitiert wiederum die ersten zwölf Zeilen:

"Schulmeister!" warf sie ihm vor. "Während andre weinen, philosophiren Sie kalt über das Thema der unnützen Thränen. Ich gebe Ihnen freilich Recht. Alles Unnütze ist überflüssig, also auch verboten. Auch die unnützen Worte, deren wir jetzt bereits so viele gesprochen haben. Thun wir das nicht wieder. Die Meinen werden sich überhaupt wundern, daß ich mit der kleinen Schreiberei eine so lange Zeit brauche. Gute Nacht!"
Sie winkte mit der Hand und drehte sich von ihm ab, dem Lichte der Lampe entgegen, welche auf dem Pulte stand. Er blieb noch einige Augenblicke stehen. Er hatte das Gefühl, daß er eine wirkliche Sünde begehe, wenn er jetzt so von ihr scheide; aber – sie hatte Recht – Schulmeister, Pedant!
"Gute Nacht!" sagte er und ging zur Thür hinaus.
"Er geht!" klagte sie. "Er geht! Er kann gehen!"
Laut aufschluchzend legte sie den Kopf und die Arme auf das Pult, welches unter den convulsivischen Bewegungen ihres Körpers zitterte.
Er aber schritt ruhig durch die Stuben und über den Hof hinweg. Erst als er durch das Thor getreten war und längs des eisernen Zaunes hinging, blickte er nach dem Gebäude hinüber. Er sah das erleuchtete Fenster, das Stehpult und die an demselben liegende Mädchengestalt. Er blieb stehen.
"Sie weint!" flüsterte er. "Vielleicht hat sie mich trotz Alledem lieb, wirklich lieb!"
Er stand so noch eine ganze Weile. Wie kam es doch nur, daß er die Strophen jenes alten Gedichtes leise für sich hinsagte:
  "O gräme nie ein Menschenherz; [...]
Noch immer lag die Mädchengestalt unbeweglich am Pulte, als er endlich ging.[7]

aktuelle Ausgaben

Aktuelle Ausgaben der Erzähltexte sind in der Bücherdatenbank zu finden:

Anmerkungen

  1. Kühne/Lorenz: Karl May und die Musik, S. 192.
  2. Kühne/Lorenz: Karl May und die Musik, S. 191.
  3. Pauler: Deutscher Herzen Liederkranz, S. 158.
  4. Karl May: Der Giftheiner. In: Karl Mays Werke, S. 2638–2640 (vgl. KMW-I.3-99:46, S. 732 f.).
  5. Karl May: Der Giftheiner. In: Karl Mays Werke, S. 2644 f. (vgl. KMW-I.3-99:46, S. 734).
  6. Karl May: Der Giftheiner. In: Karl Mays Werke, S. 2572 f. (vgl. KMW-I.3-99:46, S. 652).
  7. Karl May: Der Weg zum Glück. In: Karl Mays Werke, S. 31078–31080 (vgl. KMW-II.27, S. 866–868).

Literatur

  • Hedwig Pauler: Deutscher Herzen Liederkranz. Materialien zur Karl-May-Forschung Band 18. Ebermannstadt 1996, insb. S. 155–158, Nr. 378 f. ISBN 3-921983-27-4
  • Hartmut Kühne: Verzeichnis der Kompositionen Karl Mays. In: Hartmut Kühne/Christoph F. Lorenz: Karl May und die Musik. Karl-May-Verlag Bamberg–Radebeul 1999, S. 177–221, insb. S. 191–193. ISBN 3-7802-0154-2.

Weblinks