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Rudolf Steiner und Karl May – eine Seelenverwandtschaft?

von Hans Vastag

Der Titel dieses Beitrags mag befremden, denn weder hat Rudolf Steiner Karl May, noch dieser den Begründer der Anthroposophie in ihrem recht umfangreichen Werk er-wähnt. Verglichen wurde May bisher mit einer Reihe Persönlichkeiten aller möglichen Richtungen, u.a. mit J. W. Goethe, Gerhard Hauptmann, Wilhelm Busch, Franz Kafka, James Fenimore Cooper, Alexandre Dumas, Wilhelm Hauff, Charles Dickens, Ludwig Ganghofer, Albert Schweitzer, Theodor Storm, Johann Gottfried Herder, Mark Twain, Theodor Fontane, Hans Christian Andersen, Heinrich von Kleist, Nikolaus Lenau und Georg Heym ... aber auch mit John Lennon und Elvis Presley. Und nun auch mit Ru-dolf Steiner... Allerdings gab es im Unterschied zu den genannten eine Begegnung zwischen den beiden Zeitgenossen: und zwar am Abend des 18. Januar 1902 in Dresden, als Karl May einen Vortrag von Dr. Rudolf Steiner über Nietzsches Leben und Leiden als Zuhö-rer besucht hat . Beide waren nämlich begeisterte Nietzsche-Anhänger, wobei Steiner sich intensiv mit dem Autor des Zarathustra beschäftigt hat, und durch sein Bemühen um Nietzsches Nachlassverwaltung sich bleibende Verdienste erworben hat. May hin-gegen hat Nietzsche in seinem Roman aus dem Spätwerk „Das versteinerte Gebet“ (Die Schatten des Ahriman, Bd. 2) durch die Person Ahriman Mirzas ein bleibendes, wenn auch fragwürdiges Denkmal geschaffen. Obwohl May ein Bewunderer Nietzsches war, hat er ihn in diesem Roman eher negativ, als Repräsentanten des „Übermenschen“ im Gegensatz zu Mays Ideal, dem „Edelmenschen“, dargestellt. Doch es gibt auch andere Parallelitäten zwischen den beiden Volkserziehern der Jahr-hundertwende. Es gibt meines Wissens nur zwei Verlage im deutschen Sprachraum, die nur die Werke eines einzigen Autors veröffentlichen und auch dessen Namen tragen: den Rudolf Steiner Verlag (Dornach) und den Karl-May-Verlag (Radebeul bzw. Bam-berg). Zwar gibt es in München auch einen Goethe-Verlag, dieser veröffentlicht aber nur Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache und Sprachtests, aber keine Werke des Wei-marer Titanen. Diese drei Autoren sind es auch die 2003 die Liste der Veröffentli-chungen in deutscher Sprache anführen: Rudolf Steiner obenan (mit 861 Titeln bei A-mazon und 853 im Verzeichnis lieferbarer Bücher/VLB), gefolgt von Johann Wolfgang Goethe (806 bei Amazon und 749 im VLB) und Karl May (563 bei Amazon und 410 im VLB) . Erst dann kommen: Martin Luther, Friedrich K. Beilstein, die Brüder Grimm, The-odor Fontane, Bertolt Brecht, William Shakespeare, Hermann Hesse, Thomas Mann u.a.m. Doch das sind nur Äußerlichkeiten. Gibt es aber nicht auch Parallelen in den Lebens-wegen und -anschauungen dieser beiden weltweit wohl erfolgreichsten deutschspra-chigen Autoren? Die gibt es, und genau diese sollen hier dargestellt werden. Es sind wirklich nur Parallelen, keine direkten Bezüge in den Werken, wie anfangs erwähnt.. Beide Biographien sind wissenschaftlich vorzüglich erschlossen. Es gibt eine gut re-cherchierte Chronologie des Lebens von Karl May (siehe Fußnote 2) und eine ebenso akribisch zusammengetragene Chronik von Rudolf Steiners Lebensweg (Christoph Lin-denberg: Rudolf Steiner. Eine Chronik 1861-1925, Verlag Freies Geistesleben Stuttgart 1988). Im Biographischen sind, diesen zwei Lebensbeschreibungen folgend, eine Reihe von Ähnlichkeiten festzustellen. Die Geburtsdaten beider liegen im Kalender nur zwei Tage auseinander: May wird am 25. Februar (1842), Steiner am 27. Februar 1861 (beide im Sternzeichen der Fische) geboren und beide sterben am gleichen Tag, den 30. März, Steiner allerdings 13 Jahre später. May ist in Deutschland geboren und feiert in Öster-reich seinen letzten großen Erfolg im Beisein von über 3000 Menschen während einem Vortrag auf Einladung des Akademischen Verbands für Literatur und Musik (Wien); Steiner ist in Österreich geboren und wird in Deutschland zum Begründer einer neuen Geistesrichtung, der Anthroposophie. Sowohl Steiner als auch May verdienten in der Jugend ihr Geld als Privatlehrer, Steiner in Weimar, May in Ernstthal. Goethes Faust ist für Steiner und für May ein Werk, das sie ein Leben lang beschäftigt hat. Beide waren zwei mal verheiratet, wobei die zweite Frau in beider Leben zur geistigen Mitstreiterin und Nachlassverwalterin wurde. Bei Steiner war das Marie von Sievers, bei May Klara Plöhn. Keiner von beiden hat direkte Nachkommen. Mit einer Frau der Jahrhundertwen-de waren beide Persönlichkeiten ideell verbunden und zwar mit der Initiatorin und ers-ten Preisträgerin des Friedens-Nobelpreises, Bertha Freifrau von Suttner (1843-1914). Sie schickte May nach dessen Tod noch einen „Herzensgruß nach dem Jenseits“ , während sie Steiner mehrmals in seinem Werk erwähnt und eine gegenseitige Wert-schätzung zu bemerken ist. Sowohl im Leben Mays als auch in dem Steiners spielt die Stadt Stuttgart eine bedeu-tende Rolle: hier erscheint 1880 Mays erster Originalroman „Scepter und Hammer“ und der hier ansässige Spemann-Verlag veröffentlicht 1887 in der Jugendzeitschrift „Der gute Kamerad“ Mays erste Erzählungen für die Jugend („Der Sohn des Bärenjägers“ usw.), die Mays späteren Erfolg als Jugendschriftsteller begründen. Steiner ruft in Stuttgart 1919 die erste Waldorfschule ins Leben, die heute weltweit bekannteste anth-roposophische Einrichtung. Eine fast identische Person haben Rudolf Steiner und Karl May beschrieben, nämlich die des Kräutersammlers.

„Bei allen diesbezüglichen Recherchen wäre die ambivalente Natur des im "Weg zum Glück" geschilder-ten "Wurz'nsepp" zu bedenken. Einmal ist da der Aspekt des einfachen Mannes aus dem Volke, eines armen Kräutersammlers. Zweifellos existier¬ten im Deutschland des 19. Jahrhunderts noch zahlreiche solche originelle, naturver¬bundene Einzelgänger. Man wird an den Kräutersammler Felix Koguzki erin-nert, mit dem Rudolf Steiner, der spätere Theosoph und Begründet der Anthroposophie um 1880 zusam-mentraf und dem er nach eigener Aussage tiefe Einblicke in die Geheim¬nisse der Natur verdankte.“

Beide Persönlichkeiten haben ein umfangreiches Werk hinterlassen. Bei Steiner sind das über 360 Bände in der Gesamtausgabe mit durchschnittlich 230 Seiten, bei May ist die Gesamtausgabe auf 143 Bände mit je 420 Seiten geplant. Bei Steiner sind es weniger Buchveröffentlichungen sondern hauptsächlich Vorträge, bei May sind die Vor-träge in der Minderheit, aber die Bezüge zu Steiners Gedankenwelt ist in diesen augen-fälliger als in den Veröffentlichungen. Vergleichbares im Umfang gibt es im deutschen Sprachraum wohl kaum. Die Rezeption ist bei beiden immens. Die Anthroposophen treffen sich im Goetheanum in Dornach, die May-Fans pilgern nach Radebeul, Bad Segeberg oder Elspe. Steiners Gedankengut lebt in Institutionen (Waldorfschulen, De-meter-Höfen oder Kliniken) weiter, Mays Figuren werden durch Nacherzählungen, Co-mics, Festspiele, Filme, Schallplatten, und Merchandising–Produkten seit fast hundert Jahren vermarktet.

Außer der anfangs genannten Begegnung in Dresden gab es wohl keine direkten Kon-takte zwischen May und Steiner, wohl deshalb, weil Steiners intensive Vortragstätigkeit erst begann, als Mays Schaffensfreude durch die vielen Prozesse (ab 1899) erlahmt war. Theosophisches aber auch anthroposophisches Gedankengut kann man aller-dings im Werk Mays zur Genüge finden.

„Dass manches, was May in seinen Spätwerken in Form von Bildern bringt, mit den Erkenntnissen der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners in ver¬blüffender Weise übereinstimmt, hat nichts damit zu tun, dass May etwa Rudolf Steiner rezipiert hätte,[..]. Dies wäre ja auch gar nicht möglich gewesen, denn zu dieser Zeit waren wesentliche Werke Steiners noch gar nicht veröffentlicht oder andere (Wie erlangt man Er-kenntnis höherer Welten) der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Vielmehr hat May offen¬bar ein wenig "Myste-rienwissen“ reaktiviert, das er sich wiederum nicht bewusst angeeignet hat, und es in der künstlerischen Form von (dichterischen) Bildern und Symbolen wiedergegeben.“

Näher analysiert hat das Weltbild Mays im Lichte esoterischer Lehren Dieter Sudhoff mit folgendem Fazit:

„Nach Schakaras Bild von der Lebenslinie mit ihren Polen "Sonnenglut" und "Finsternis" ist das reine Licht des Gebets auch Symbol des Paradieses und damit des ewigen Lebens. Christlicher Logik folgend, müssten die Geister nun, da sie von ihrer Schuld befreit sind, in dieses ewige Licht eingehen, tatsächlich aber fliehen sie vor dem wachsenden Leuchten und suchen den Schutz des Schattens, um nicht ver-brannt, nicht verzehrt zu werden. Durch Gottes Gnade erhalten sie ihre Schatten zurück, bewegen sich wieder auf zwielichtiger Lebenslinie. Die gottgeschenkte Geistergeburt ist daher nicht – wie vielleicht zu erwarten – als eine zum ewigen Leben zu verstehen, sondern als eine Wiedergeburt ins Erdendasein. Aus Purgatorio und Geistestod werden die Geister zurück in Welt und in Geistigkeit entlassen, um sich dort in einem zweiten Leben für die Ewigkeit zu bewähren. Diese Idee entspricht ganz theosophischen und anthroposophischen Weltdeutungen, wonach der Mensch in immer neuen Phasen der Reinkarnation die ehemals von Gott als rein geistig geschaffene und dann in mehreren Stufen zunehmend verstofflichte Welt in ihren ursprünglichen Zustand zurückführen soll.[...] Diese Theorie, die eklektisch genährt ist von hinduistischen, buddhistischen und anderen Seelenwanderungsvorstellungen, lässt sich mit gutem Willen leicht in der Fabel des "Großen Traums" erkennen – dennoch wäre es vorschnell, May deshalb zum Anth-roposophen zu stilisieren. Nicht nur fehlt es an theoretisierenden Textbelegen einiger Eindeutigkeit, es ließen sich auch genügend solche beibringen, die dazu in krassem Widerspruch stehen. Als Eklektiker amalgamierte May ja die verschiedensten religiösen und philosophischen Ideen aus Vergangenheit wie Gegenwart zu einem individuellen und in sich halbwegs schlüssigen Weltbild auf christlicher Grundlage; dabei fanden gerade aktuelle Zeitströmungen der Jahrhundertwende bei ihm ein fruchtbares Feld, so der Neue Idealismus, Nietzsche, die aufkommende Psychoanalyse und eben auch: die Theosophie und die Anthroposophie Rudolf Steiners, deren unvermittelter Anteil an Mays Spätwerkphilosophie analytisch aber kaum ermessbar ist - zumal diese Denkrichtungen eben selbst schon entschieden eklektisch struktu-riert sind. So können wir hier nur feststellen, dass die Reinkarnation der Geister im "Traum" der zeittypi-schen theosophischen und anthroposophischen Denkhaltung entspricht, diese als direkte Quelle aber bezweifelbar ist.“

Günther Scholdt kommt zu einem ähnlichen Schluss:

„Die Jugend- und die Landschulbewegung in Deutschland zeigte starke Nietzsche-Prägung. Über-mensch-Vorstellungen grassierten bei Theosophen, Okkultisten, Esoterikern, bei Propagandisten des Ganzheitsmenschen, der Eurhythmie, der Tanz- oder Nacktkultur, bei Jüngern von Stefan George, Rudolf Steiner oder Lanz von Liebesfeld sowie bei Politrevolutionären unterschiedlichster Couleur. Sie fanden Ausdruck in Fidusschen Lichtgestalten, von denen Karl May zumindest in Form der Varianten Sascha Schneiders angeregt wurde.“

Trotz dieser Ideenverwandtschaft oder besser -ähnlichkeit zur bzw. mit der Anthropo-sophie in verschiedenen Texten Mays kann nicht, wie Lorenz und Sudhoff bemerken, von einem Einfluss Steiners auf May gesprochen werden. Eher sind als Quellen die Theosophie Emanuel Swedenborgs (1688-1772) oder eines Franz Hartmann (1838-1912), Begründer (1897) der Internationalen Theosophische Verbrüderung (ITV) zu vermuten. Auch die Theorie des viergliedrigen Menschen, als Abbild der vier Reiche, das May im Vortrag von Lawrence vom 18. Oktober 1908 mit dem Titel „Drei Mensch-heitsfragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?“ bildlich als Drosch-ke, Pferde, Kutscher und Insassen zeichnet, geht wohl auf die Theosophie zurück. Ver-stärkt wird diese Vermutung auch durch Mays Hang zum Spiritismus, wohl durch den Einfluss seiner zweiten Frau Klara, einem scheinbar begnadeten Medium. Sicherlich ließen sich eine Vielzahl von Textstellen aus Mays Werken und Vorträgen finden, die genauso gut Steiner hätten zugeschrieben werden können, umgekehrt wohl kaum... Hier nur stellvertretend ein Beispiele aus Karl Mays Wiener Vortrag vom 22. März 1912, acht Tage vor seinem Tod:

„Was für einen Ort aber verstehe ich unter diesem »hier« unter diesem »Himmel«, an dem solche Sterne strahlen? Ich bin da, es Ihnen zu sagen.: Es führen 3 Wege hinauf: Wissenschaft, Kunst, Religion. Wis-senschaft bringt Erkenntnis; Kunst bringt Offenbarung; Religion bringt Erlösung. Die Kunst dringt in das Innere der irdischen Materie ein, um das Innere herauszuholen und das Äußere damit zu verklären. Sie söhnt Wissenschaft und Religion mit einander aus. Sie weist nach, dass alle Wege endlich doch vereint nach demselben Ziele streben.“