Als alle mich verlassen hatten (Gedicht)

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Als alle mich verlassen hatten, auch Die alte Bettlerin genannt, ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

Als Alle mich verlassen hatten
  In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
  Mein König hat an mich gedacht!
Einsam, auf hoher, stiller Alm,
  Lebt ich, die Tochter der Natur,
Im prächt'gen Wald ein armer Halm,
  Gehört ich meiner Heerde nur.
Da plötzlich drang ein Ton der Gnade
  Zu mir ins kleine Alpenhaus
Und rief von meinem engen Pfade
  Ins reiche Leben mich hinaus – – –
Wohl möcht ich fürchten all den Glanz,
  Der fremd mir und erdrückend war;
Vielleicht welkt nie ein Lorbeerkranz
  Dereinst auf meinem greisen Haar;
Doch, leuchtet mir an Tempelsstufen
  Der Kunst bezaubernd Morgenroth,
Und hat mein König mich gerufen,
  So folg ich freudig dem Gebot.
Ade, ade, ihr grünen Matten;
  Ade, der Gletscher wilde Pracht!
Ich steh in meines Königs Schatten;
  Mein König hat an mich gedacht![1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht ist als Lied mehrfach in Karl Mays Roman Der Weg zum Glück (18861888) zu finden. Zunächst im 4. Kapitel Schalksstreiche, hier trägt Magdalena Berghuber als Sängerin Mureni das vom Fex gedichtete und komponierte Lied vor:

Beim ersten Anblick der Sängerin ging es wie eine Enttäuschung durch den Zuschauerraum. Sie trat in gebeugter Haltung ein, mit einem alten Mantel bekleidet, ein Tuch um den Kopf und einen Stock in der Hand. Ihr Gesicht war das eines alten Weibes – ohne Schminke, Farbe und sonstige künstliche Mittel. Man hatte ihr einen warmen Empfang zugedacht, aber diese Erscheinung erkältete die Wärme, mit welcher man ihrer bisherigen Vorträge gedacht hatte.
Die Blicke flogen von ihr weg nach dem Orchester. Was waren das für Töne, für Harmonieen, so fremdartig herzergreifend, fast schmerzhaft die Nerven berührend. Das klang wie an einander gereihte klingende Thränen!
In eben solchen Tönen begann die alte Bettlerin ihr Lied. Ihre Stimme zitterte vor Alter, und ihr matter Hals wollte nur schwer den Kopf in der Höhe tragen. Sie sang von Krankheit und Hungersnoth, von verrathener Liebe und zehrendem Grame, verlassen von den Eltern, verlassen von dem Manne, im Kampf mit dem Elend, das Herz voller Jammer – nur ein einziger Strahl wars, der in das Dunkel ihr drang – – –
Dabei hob sich ihr Haupt, und ihre Augen gewannen Leben; die Stimme wurde kräftig, voller Halt, die Instrumentalbegleitung stieg im Crescendo empor, und den Arm mit dem Stocke hoch erhebend, sang sie, im Mezzoforte beginnend und im stärksten Fortissimo endend:
  "Als Alle mich verlassen hatten [...]
Jetzt, jetzt mehr als zuvor zeigte es sich, welche Kraft in Leni's Stimme lag. Wie ein brausender Strom ergoß sie sich über das ganze Haus. Hingerissen von dieser Mimik, diesem Vortrage, dieser Stimme, brachen bereits jetzt die Hörer in stürmischen Beifall aus.
Und nicht die Sängerin allein war es, der dieser Letztere galt; nein, das Lied, der Text sowohl wie auch die Melodie, war so eigenartig, so originell und dabei meisterhaft gehalten, daß man ganz unwillkürlich beim Lob der Sängerin auch des Dichters und Componisten denken mußte.
Und wieder begann sie von Entsagung und Anfechtung, von aller Noth des Körpers und der Seele. Jetzt gehen sogar die Kinder von ihr, Undank zahlend für die größten Opfer. Jetzt giebt es keine Seele mehr, an der sie sich festhalten kann, um nicht unterzugehen – nein, doch eine, eine erhabene Seele: Der König ist ihr erschienen als rettender Engel mit helfender Hand, und nun jubelt sie abermals:
  "Als Alle mich verlassen hatten [...]
Wieder derselbe Beifall, und dann beginnt sie von der letzten Tagereise der irdischen Pilgerfahrt. Das Leben stirbt hin; der Staub neigt sich mehr und mehr der Erde zu. Das Auge wird dunkel, und die anderen Sinne verweigern den Dienst. Von vornher rauscht bereits die Brandung der Ewigkeit. Mach Deine Rechnung quitt mit dem Leben, so arm es auch gewesen sein mag. Mit wem soll sie, die Bettlerin, abrechnen? Wem ist sie Etwas schuldig? Den Menschen, die ihrer nicht gedachten? Den Ihrigen, von denen sie verlassen wurde? Nein, ihrer kann sie nur mit der Bitte gedenken: "Verzeihe ihnen, o Herr, wie ich ihnen verzeihe!" Aber Einen giebt es, einen Einzigen, dem sie so viel schuldig ist, ihre Rettung von Verzweiflung und Tod. Ihm muß sie die erlösende That schuldig bleiben. Aber noch ihre letzten Gedanken gehören ihm, und mit ihrer letzten Kraft richtet sie sich vom Sterbelager empor, und ihre letzten Worte lauten:
  "Als Alle mich verlassen hatten [...]
Welch ein Vortrag! Wars möglich, daß vor wenigen Monaten diese Sängerin noch eine arme, ungebildete Sennerin gewesen war? Sie war während der letzten Strophen in die Knie, dann sogar ganz niedergesunken, und hatte sich sodann, ganz wie eine Sterbende, mit letzter Kraft halb erhoben, um die letzten Takte wie einen Segenswunsch hinüber zur Königsloge schwellen zu lassen.
Da flossen Thränen, wirklich heiße Thränen. Niemand schämte sich derselben; aber als trotz dieser tiefen, tiefen Rührung der Beifall beginnen wollte, da sprang sie vollends vom Boden auf, machte eine abwehrende Armbewegung, warf Mantel, Tuch und Stock von sich und stand nun ganz so da wie bei ihrer ersten Nummer – als Sennerin Leni.
Das überraschte. Was hatte das zu bedeuten? Was wollte sie? Warum that sie das? Ein lautloses Schweigen trat ein, keine Hand bewegte sich mehr, um mit dem Taschentuche offen oder halb verstohlen die Thränen zu trocknen.
Was sie wollte? O, es sollte ja noch die letzte Strophe kommen, in welcher sie von sich selber singen wollte, dankerfüllt gegen den hohen Wohlthäter, durch dessen Barmherzigkeit sie hier begeistert und begeisternd stand.
Der Dirigent nickte rechts und links lächelnd seinen Leuten zu. "Jetzt kommts! Paßt auf!" wollte er sagen. Und wirklich, er hatte Recht.
Nicht mehr schmerzlich klagend und doch ganz in derselben Melodie, in epischer Fülle und Schönheit klang das Vorspiel voran, und dann fiel Leni ein:
  "Einsam, auf hoher, stiller Alm, [...]
Die Spannung, mit welcher Aller Augen und Ohren gegen die Sängerin gerichtet war, läßt sich gar nicht beschreiben. Und sie verdiente es auch. Das waren Herzenstöne, welche ihrer schönen Brust entquollen, und darum konnte es gar nicht anders sein: sie mußten wieder zum Herzen gehen.
Und weiter lautete die Strophe:
  "Wohl möcht ich fürchten all den Glanz, [...]
Wohl selten war eine solche Wirkung eines Liedes gesehen worden, wie jetzt. Schon in der Mitte der Strophe hatte die Stimme Leni's zu zittern begonnen. Thränen füllten ihre Augen. Bei den Worten: »Ade, ade, ihr grünen Matten« mußte die Begleitung eine Pause machen, denn die Sängerin schluchzte laut auf und konnte nicht weiter; dann aber fuhr sie weiter fort, und unter strömenden Thränen, aber wie mit Orgelton und Glockenklang endete sie mit mächtig dahinbrausender Stimme:
  "Ich steh in meines Königs Schatten;
    Mein König hat an mich gedacht!"
Die Worte waren verklungen, und die Musik schwieg. Still wie in einem leeren Tempel war es für einen Augenblick – da schallte ein lautes, lautes, herzbrechendes Weinen durch den Raum; der Sepp war es. Der Fex konnte sich auch nicht halten und fiel ein. Leni, bis jetzt still stehend, schlug die beiden Hände vor das Gesicht und eilte schluchzend hinter die Coulissen und – – –
War es möglich! War so Etwas bereits einmal dagewesen? Auch draußen im Zuschauerraume, rechts und links, oben und unten, brach die Rührung hervor, welche nicht mehr zurück zu halten war: Man weinte allgemein.
Auch der König saß still und bewegungslos, den Arm, welcher das Taschentuch hielt, auf die Brüstung gestützt und das Gesicht in die Hand gelegt – – – er weinte!
Wagner und Liszt, die beiden Meister der Tonkunst, auch ihre Kraft war zu gering: Sie hatten Thränen.
Nur einer saß unten, dessen Auge nicht naß wurde – der Krikelanton. Der Grimm ließ ihn zu keiner Rührung kommen.
So blieb es fast über eine ganze Minute lang, in solcher Situation eine ganz beträchtliche Zeit; dann aber regten sich erst zwei Hände, dann mehrere, endlich alle. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Die Leni mußte erscheinen.
"Mureni heraus! Mureni!" rief es immer von Neuem.
Sie erschien immer wieder. Da rief eine Stimme:
"Der Fex heraus!"
"Der Fex! Fex, Fex!" fielen Andre ein.
Er kam. Und da rief abermals jemand:
"Wurzelsepp, heraus! Der Pathe heraus!"
"Sepp! Wurzelsepp! Der Pathe!" so erklang es aus vielen hundert Kehlen.
Und als nun die Drei bis fast vor an die Lampen traten, da kamen die Diener und machten die vorhin gesungenen Worte unwahr:
  "Vielleicht welkt nie ein Lorbeerkranz
    Dereinst auf meinem greisen Haupte."
O, sie brauchte nicht zu warten, bis der Schnee des Alters sich auf ihr Haupt legen wird! Bereits heut, bei ihrem ersten Auftreten, waren ihr Lorbeerkränze beschieden. Mehrere, mehrere wurden gebracht, und weinend, immer noch weinend, legte sie einen davon dem Fex auf den Kopf und einen andern dem Wurzelsepp. Der Alte befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand. Er weinte und lachte zu gleicher Zeit. Immer noch auf offener Bühne stehend, umarmte er die Leni und umarmte den Fex, und als der Director herbeitrat, um der Sennerin noch einen mächtigen Blumenkorb zu überreichen, da faßte der Alte auch ihn in die Arme, hielt ihn riesenfest und sprang mit ihm zu gleichen Beinen auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, herum.[2]

Ein weiteres Mal taucht das Poem im 6. Kapitel Die Sirene auf, in dem sich der Wurzelsepp an Murenis Triumph erinnert:

"So! Aberst eine andera Person paßt halt nicht dazu. Also müssen wir auf denen Hilamandern verzichten. Und das ist wohl auch sehr richtig; denn wann wir auf die Gesundheiten unsers guten Königs trinken wollen, so ists besser, wann wir fein ernst und andächtig dabei sind. Wenn ich an ihn denk, so muß ich auch gleich allemal an meine Leni denken. Ihr hättet nur dabei sein sollen, als sie sungen hat:
  Als Alle mich verlassen hatten [...]
Da hat Alles weint, Alles, Alles hat schluchzt und weint und dera König selbern auch mit. Hört, das merkt Euch! Keiner hat so ein Herz für das Unglück wie unsera Ludwigen. Dera Sepp weiß das sehr genau. Und wann er mal hierher kommen thät, so sollt Ihr sehen, wie schnell das Leid ein End nehmen thät bei Denen, die seiner Hilf und Gnaden würdig waren!"[3]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben von Der Weg zum Glück sind in der Bücherdatenbank zu finden:

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Der Weg zum Glück. In: Karl Mays Werke, S. 30768–30772 (vgl. KMW-II.27, S. 663–665).
  2. Karl May: Der Weg zum Glück. In: Karl Mays Werke, S. 30767–30775 (vgl. KMW-II.27, S. 662–667).
  3. Karl May: Der Weg zum Glück. In: Karl Mays Werke, S. 31640 f. (vgl. KMW-II.28, S. 1233).

Weblinks[Bearbeiten]