Ich kam zu dir am Hosiannatag (Gedicht)

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Ich kam zu dir am Hosiannatag ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

"Ich kam zu dir am Hosiannatag
  Und sah dich im Triumph durch Salem reiten,
Doch auch schon alles, was noch vor dir lag,
  Sah hinter dir ich im Gefolge schreiten.
Da wendete ich mich zur Klagemauer
  Und stand mit heißer Stirn am kalten Stein.
In deinen Jubel warf ich meine Trauer,
  Denn mit dir zog ja auch dein Judas ein.
Ich kam zu dir am Eli-lama-Tag
  Und sah dein Haupt im Todesschmerz sich senken.
Doch als dein Mund das Asabthani sprach,
  Mußt schon ich an das nahe Ostern denken.
Du warst ja einst auf jenen Berg gestiegen,
  Den man als Stätte der Verklärung preist,
Und mußtest beide, Grab und Tod, besiegen
  In deiner Kraft als erdenfreier Geist.
Nun komme ich zum Auferstehungstag
  Und sage dir: die Steine sind verschwunden.
Die Jünger sahen früh im Grabe nach
  Und haben deinen Leichnam nicht gefunden.
Soll wohl der Geist hier in der Gruft verbleiben,
  Wo doch der Körper längst schon auferstand?
Steh auf, steh auf! Es giebt noch viel zu schreiben,
  Jedoch von jetzt nur mit – – – der Geisterhand!"[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht ist in Karl Mays Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV (1903) enthalten, die zum Spätwerk des Schriftstellers gehört. Der Ich-Erzähler findet es als Abschluss von des Ustads Buch Mein Leidensweg:

Ich hatte das Buch "Mein Leidensweg" noch in der Hand und begann, darin zu blättern, doch ohne eigentlich zu lesen. Verschiedene Sätze, welche unterstrichen waren, fielen mir auf. Bei diesen verweilte ich. Ja, sie waren »Flamme«. Es glühte und flackerte in ihnen ein Zorn, welcher versengend war. Das Buch schloß auf der vorletzten Seite mit einem Gedichte. Dieses lautete:
  "Ich kam zu dir am Hosiannatag
Ich las es noch einmal und dann zum dritten Male. Welch ein Gedicht! Ich meine nicht etwa den künstlerischen Wert desselben. Der ging und geht mich gar nichts an. Es war nicht die Form, sondern es war der Geist, der vor mir stand. Ich sah ihn deutlich, mit allem, was ich loben konnte, und auch mit allem, was ich an ihm tadeln mußte. Der Mann, der diese Zeilen geschrieben hatte, war aber unbedingt auch körperlich in Jerusalem gewesen. Ich sah ihn durch das Jaffathor kommen und geradeaus auf jenem Stufenwege schreiten, welcher hinab nach dem "Heiligtume" führt. Aber dorthin wollte er gar nicht, sondern er bog nach links, in die engen Bazare, die auf das Thor von Damaskus münden. Dort wendete er sich rechts, dem "Leidenswege" zu, hinauf nach Golgatha, dessen Stätte ein Gegenstand der Phantasie geworden ist, weil man die rechte Stelle nicht mehr kennt. Im tiefen Winkel liegt die "Klagemauer". Hier hörte man die wahre Sehnsucht einst nach der Erlösung rufen. Jetzt aber kratzt man sich dort am Gestein die Finger blutig wund, nur um ein karges Bakschisch[2] zu erhalten. So geht überall, nicht bloß im heiligen Jerusalem, die Menschheitsseele betteln, wenn sie den Geist verlor, der hier ihr Führer ist, damit dann sie ihn fort, nach oben, leite! Er aber, dieser Geist, schleicht forschend durch den Sukh[3] des niederen Lebens, an Kesselflickern, Krämern und Wechsel-Habichten vorbei, nach dieser Seele suchend, die er verlieren mußte, weil er sein Herz an eitle Dinge hing! Und wenn er sie nicht findet, geht er hinaus vor Salems alte Mauern, steigt hin und her in jenen öden Thälern, wohin die Stadt das Aas gefallener Tiere sendet, am Oelberg dann hinauf, wo an dem Weg nach Jericho das Volk der Hammel abgeschlachtet wird. Und wenn er oben angekommen ist und von der höchsten Stelle des einstigen Jebus sein Morijah liegen sieht, so wallt es tief entrüstet in ihm auf. Er schüttelt seine Hände, in denen doch nichts ist, streng über Salem aus und klagt im Tone schmerzlicher Enttäuschung: "Ich kam zu dir – – – was habe ich gefunden?!"[4]

Später antwortet der Ich-Erzähler dem Ustad mit einem ähnlichen Gedicht.

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV sind in der Bücherdatenbank zu finden.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65877 f. (vgl. KMW-V.4, S. 167 f.).
  2. Geschenk, Bettlergabe.
  3. Bazar.
  4. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65877–65879 (vgl. KMW-V.4, S. 167–169).

Weblinks[Bearbeiten]