Schatz der Glieder

Aus Karl-May-Wiki
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Der Schatz der Glieder wird in der Kanz el A'da in Meschhed Ali aufbewahrt.


Er besteht aus über zwanzig Beutel[n], aus Leder gefertigt und von verschiedener Größe, welche mit goldenen Quasten verziert und mit farbigen, seidenen Schnüren zugebunden waren. An jedem hing ein künstlerisch geschnittenes Elfenbeinblättchen, welches eine Buchstabennummer und die persische Bezeichnung des Inhaltes trug. Das machte den Eindruck des Wertes, des Reichtums. Ich las einige der Aufschriften; sie lauteten:

»Sih ängust = drei Finger, pänj tschasm = fünf Augen, du bini = zwei Nasen, tschähar dil = vier Herzen, nuh pah = neun Füße, sih zäbahn = drei Zungen, du Kahm = zwei Gaumen.«

Diese Inhaltserklärungen kamen mir keineswegs verwunderlich vor, denn ich kannte den Brauch, der ihm zu Grunde lag. Es kommt nämlich unter den Schiiten besonders bei langwierigen Krankheiten und schwer heilenden Verletzungen sehr häufig vor, daß der Patient an den heiligen Stätten die Hilfe sucht, die er bei den Aerzten nicht gefunden hat. Dies geschieht, wenn es ermöglicht werden kann, durch die persönliche Wanderung nach Meschhed Ali oder Kerbelah; im andern Falle sendet man eine Ab- oder Nachbildung des betreffenden Gliedes oder Körperteiles nach einem dieser Orte und dazu ein Geldgeschenk, welches die »Heiligen der Stätte« veranlassen soll, sich des Absenders im Gebete anzunehmen. Dies ist das letzte und, wie man meint, zugleich sicherste Heilmittel, zu welchem man greift. Der Arme kann es nur zu einer Nachbildung aus Holz, aus Thon, aus Blei, Zinn oder sonst einem billigen Stoffe bringen und hat also nur wenig Hoffnung, von Allah geheilt zu werden. Der Reiche ist viel besser daran, weil er die Mittel besitzt, ein wertvolleres Material zu bezahlen. Er wählt Silber, Gold und sogar edle Steine. Auf diese Weise gelangen Kostbarkeiten nach den Pilgerstätten, mit denen man selbst den berühmtesten Arzt nicht honorieren würde. Es kommt vor, daß Fürsten oder sonstige Geldleute wahre Schätze schicken, die in den unterirdischen Kammern von Kerbelah und Meschhed Ali aufgehäuft werden und einen immer wachsenden Wert von vielen Millionen besitzen. Daß da Allah nicht der einzige Empfänger ist, versteht sich ganz von selbst. Auch ist es dagewesen, daß Eroberer sich dieser Schätze bemächtigt haben, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Aber sie wachsen immer wieder und immer weiter an, so daß man eben jetzt, in gegenwärtiger Zeit, behauptet, daß man mit den an den beiden genannten Orten angehäuften Vermögen ganz Persien aufkaufen und bezahlen könne.


Teile des Schatzes wurden von El Ghani gestohlen und von Khutab Agha, dem Oberaufseher der Schatzkammer, zurückgebracht.