Scheerenschleiferlied (Gedicht)

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Das Scheerenschleiferlied oder Schleiferlied ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

"Der Schleifer ist allzeit ein Mann,
Den man nicht gut entbehren kann,
  Weils Vieles gibt, wie Ihr ja wißt,
  Was abgestumpft und schartig ist,
  Und man sich da nur nutzlos quält,
  Wo Schärfe, Schnitt und Rundung fehlt.
Der Schleifer findet weit und breit
Gar manche Ungeschliffenheit,
Und wo er nicht selbst helfen kann,
Da packen andre Kräfte an.
  Das Schicksal faßt ja manchen Tropf
    Mit eisenfestem Griff,
  Setzt ihm den widerspenst'gen Kopf
    Zurecht und gibt ihm Schliff!"
"Der Meister und die Meisterin,
Die haben oft gar eignen Sinn,
  Der Lehrling ist ein Aschenbrod,
  Hat wenig Freud und sehr viel Noth,
  Arbeitet wie ein Droschkenpferd
  Und gilt doch keinen Heller werth.
Der Sündenbock für alle Welt,
Auf halbe Ration gestellt,
Zu spät ins Bett, zu früh heraus,
Das halte doch der Teufel aus!
  Und klagt und schimpft und jammert er,
    So kommt der Meister Pfiff,
  Nimmt Elle oder Knieriem her
    Und applizirt ihm Schliff!"
"Bei einem wohlbekannten Haus
Fliegt Geld hinein, Papier heraus.
  Man sagt, daß es ein Bankhaus sei,
  Doch ists die höh're Schleiferei;
  Denn man dreht drinnen dem Hans Tapp
  Die schwer ersparten Groschen ab.
Da plötzlich wird die gute Bank
An hoffnungsloser Schwindsucht krank;
Der Prinzipal kniff gerne ex,
Doch faßt ihn 'Polyp multiplex.'
  Jetzt brummt er in der Einsamkeit,
    Und kaut an seinem Kniff,
  Und für das Schleifen frührer Zeit,
    Bekommt er selbst nun Schliff!"
"Im Schulhaus geht für Jedermann
Das offizielle Schleifen an.
  Und was die liebe Frau Mama
  Bisher am Zuckerkind versah,
  Wird hier barmherzig und geschickt
  Mit Stock und Ruthe ausgeflickt.
Das niederträchtige A-B-C
Schmeckt unbedingt nach Aloë,
Und wer das Einmaleins verdaut,
Der stirbt auch nicht an Sauerkraut.
  In diese Art Philosophie
    Fährt man mit raschem Griff,
  Legt sie gemüthlich übers Knie
    Und applizirt ihr Schliff."
"Wohnt einmal Einer in der Stadt,
Der gar zu lange Finger hat;
  Bei Tage bleibt er stets zu Haus,
  Geht nur im Dunkelmunkel aus,
  Ist aller Straßenlampen Feind
  Und liebt den Mond, wenn er nicht scheint.
So wandert heimlich er fürbaß,
Denkt bald an Dieses, bald an Das,
Bis er, Kreuzhimmelelement,
Ein fremdes Port'monnaie umrennt.
  Doch leider wird der Schelm ertappt
    Bei dem verbot'nen Griff;
  Ein Gänsedarm hat zugeschnappt
    Und sorgt für bessern Schliff."
"Ich kenne ein Amphibium,
Heißt Redakteur und ist nicht dumm.
  Im Tintenfasse schwimmt das Thier,
  Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier,
  Hat eine Zunge, spitz und scharf,
  Und quakt, was man nicht quaken darf.
Drum bringt den Herrn Amphibius
Das Quacken öfters in Verdruß,
Wobei es hier und da gelingt,
Daß man ihn auf das Trockne bringt.
  Denn tritt er in der Setzerei
    Etwas zu stark aufs Schiff,
  So stürzt ein Paragraph herbei
    Und sorgt für bessern Schliff."
"Herr Müller und Frau Müller sind
Zuweilen sehr konträr gesinnt.
  Er liebt den Skat; sie haßt das Spiel,
  Er schweigt gern und sie plappert viel,
  Er ist ein Feind von Tand und Putz,
  Und sie hälts mit dem Federstutz.
Der Frau gebührt natürlich Recht;
Sie ist das schönere Geschlecht.
So war es schon zu Adams Zeit,
So bleibt es auch in Ewigkeit.
  Und fehlt dazu dem Grobian
    Der richtige Begriff,
  Schafft sie sich einen Hausfreund an
    Und sorgt für bessern Schliff!"[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Karl Mays Gedicht ist als Liedtext bereits in der Posse Die Pantoffelmühle, die möglicherweise bereits 1864 verfasst wurde, enthalten. Unter der Überschrift sind folgende Reimwörter notiert:

Schliff. Griff Kniff Riff Schiff Begriff Pfiff.

Eine Komposition dazu ist allerdings nicht bekannt.[2]

Eine wichtige Rolle spielt das Poem in Mays Humoreske Der Scheerenschleifer (1880). Der Wachtmeister Jakob Roller spioniert als Scherenschleifer verkleidet im Anhaltischen und gibt dabei dieses Lied zum Besten. Leopold I. von Anhalt-Dessau, der als Bergamtmann inkognito mit einigen Offizieren zugegen ist, hört ihm dabei zu:

Draußen vor der Bude hielt nämlich ein Schleifer mit seinem Karren. Er hatte sehr viel zu thun; aber nicht nur seine Kunden standen bei ihm, sondern auch eine ganze Menge andere Leute. Er war seit einigen Tagen in der Gegend bekannt, und man wußte, daß er gar schöne Schleiferlieder zu singen verstehe. Er pflegte sie zum Takte seines Rades vorzutragen und die Pausen mit dem Geräusche auszufüllen, welches durch die Berührung der Messer und Scheeren mit dem Schleifsteine hervorgebracht wird. Er hatte heut bereits viel gearbeitet, aber noch nicht gesungen. Darum wurde er so dringend um ein Lied gebeten, daß er endlich nachgeben mußte. Er begann:
  "Der Schleifer ist allzeit ein Mann, [...]
Der Klang dieser Stimme war es, welcher den zwickelbärtigen Herrn Bergamtmann am Sprechen verhindert hatte. Er hörte die Strophe zu Ende und meinte dann:
"Nicht übel, das Lied, hm; sollte länger sein, nicht, Hauptmann?"
Derjenige, an den die Worte gerichtet waren, beeilte sich beizustimmen:
"Gewiß, Durchlaucht! Doch, da kommt ja bereits eine zweite Strophe!"
Wirklich erklang es bereits nach dieser kurzen Pause draußen weiter:
  Der Meister und die Meisterin, [...]
Der Bergamtmann strich schmunzelnd seinen schwarzen Schnurrwichs.
"Ja, die Elle oder der Knieriem sammt dem Lade- und dem Haselstocke sind die besten Erzieher, die es gibt. Die Elle macht fromm, der Knieriem sanft, der Ladestock gehorsam und der Haselstock geduldig! Meint Er nicht, Hauptmann?"
"Versteht sich, Excellenz. Ein strenges Wort hat mehr Wirkung, als eine freundliche Predigt von sechs Stunden Dauer."
"Bei einer solchen Gesinnung ist es schade, daß Er nicht anstatt Hauptmann Feldprediger geworden ist. Aber horcht, er singt weiter!"
Der Schleifer fing die dritte Strophe an. Sie lautete:
  "Bei einem wohlbekannten Haus [...]
"Wenn dieser Kerl sich seine Lieder selbst macht, so ist er ein ganz verdammter Himmelhund!« meinte der Fürst. »Das schnappt und klappt ja Alles ganz vortrefflich! Und das mit der höheren Schleiferei ist ganz richtig; nur will ich ihm nicht rathen einen Namen zu nennen, sonst wird er noch höher geschliffen. Aber wahrhaftig, der Mann bringt noch mehr. Hört!"
Draußen erklang die Fortsetzung des Liedes:
  "Im Schulhaus geht für Jedermann [...]
"Bravo, Bravo! Immer übers Knie mit den Rangen, und gehörig aufgewichst. Mir sollte die Anneliese nicht wagen, die Buben und Mädels zu verderben! Warum hat man jetzt so gottlose subordnungswidrige Bengels unter den Rekruten, Hauptmann? Nun?"
"Es liegt an der Erziehung; die Eltern sind schuld!"
"Und darum verdienen sie mehr Prügel, als die Jungens. Es ist jetzt eine traurige Zeit, eine Zeit, in welcher eigentlich Hoch und Niedrig, Jung und Alt ganz gehörig durchgeprügelt werden müßte; denn ich sage Euch, Ihr Herren, daß – – –"
Er war dabei auf eines seiner Lieblingsthemata gekommen, über welches er stundenlang zu reden vermocht hätte, wenn er nicht von dem Schleifer gestört worden wäre:
  "Wohnt einmal Einer in der Stadt, [...]
"Hm," brummte jetzt der Fürst. "Da fällt mir ja etwas ein, Ihr Herren. Habe da einen Wisch von Oberst Ravenau, der beim Schwedenkönige sitzt, erhalten, worin ich benachrichtigt werde, daß ein Wachtmeister, ein gewisser – – Teufel, wie heißt doch der Bengel gleich? Major, Er hat das Schreiben ja gelesen!"
"Wachtmeister Roller," antwortete der Aufgeforderte.
"Roller, ja; also daß ein gewisser Wachtmeister Roller in der Gegend zwischen Merseburg, Halberstadt und da herum sein – – – Donnerwetter, da geht es wieder los; das muß man sich gefallen lassen. Hört!"
  "Ich kenne ein Amphibium, [...]
"Fertig? Also nun kann ich fortfahren. Der Oberst Ravenau schreibt mir, daß sich da ein Wachtmeister Roller herumtreibe, bald als Brillmann, bald als Bänkelsänger oder Scheerenschleifer, bald als sonst etwas. Was das für einen Zweck hat, kann sich Jeder denken, und ich möchte mir den Kerl da draußen denn doch einmal in Augenschein nehmen. Was meint Er, Major?"
"Ein gewöhnlicher Schleifer hat diese Verse nicht gemacht, so viel ist sicher, Durchlaucht. Sie stammen nicht blos von einem witzigen, sondern auch von einem gewandten und erfahrenen Kopfe – – ah, noch eine Strophe!"
  "Herr Müller und Frau Müller sind [...]
Ein schallender Beifall war der Lohn für den Vortrag dieses Liedes. Auch in der Bude stimmte man ein, und nur die Offiziere verhielten sich zurückhaltend. Auf einen Wink des Fürsten erhob sich der Jüngste von ihnen und trat hinaus vor die Bude zu dem Schleifer.[3]

Der vermeintliche Schleifer wird gefangen genommen, und der alte Dessauer übernimmt dessen Rolle. Allerdings bringt er die Verse durcheinander und wird daraufhin erkannt und selbst gefangen gesetzt.

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Der Scheerenschleifer. In: Karl Mays Werke, S. 4546–4552 (vgl. KMW-I.5-135:5, S. 74 f.).
  2. Kühne/Lorenz: Karl May und die Musik, S. 232 f.
  3. Karl May: Der Scheerenschleifer. In: Karl Mays Werke, S. 4545–4553 (vgl. KMW-I.5-135:5, S. 74 f.).

Literatur[Bearbeiten]

  • Christoph F. Lorenz: Karl Mays "Pantoffelmühle". Posse mit Gesang und Tanz in acht Bildern. In: Hartmut Kühne/Christoph F. Lorenz: Karl May und die Musik. Karl-May-Verlag Bamberg–Radebeul 1999, S. 222–241, insb. S. 229, 232 f. ISBN 3-7802-0154-2.

Weblinks[Bearbeiten]

  • Die Humoreske Der Scheerenschleifer bei zeno.org.