Wenn mich die Menschheit aus den Thoren stößt (Gedicht)

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Wenn mich die Menschheit aus den Thoren stößt ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

Wenn mich die Menschheit aus den Thoren stößt,
  Um mich, den Menschen, an das Kreuz zu schlagen,
So wurde ich von meiner Schuld erlöst;
  Sie aber hat die ihre noch zu tragen![1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht ist in Karl Mays Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV (1903) enthalten, die zum Spätwerk des Schriftstellers gehört. Der Ustad rezitiert es:

Da verließ der Ustad das Fenster. Ist es möglich, daß sich ein Gesicht in so kurzer Zeit so sehr verändern kann? Das seinige war wie verklärt. Seine Augen strahlten. Er blieb vor mir stehen und riß das letzte Blatt langsam und sorgfältig, um es nicht zu verletzen, aus dem Manuskripte. Dann warf er das letztere weit hinter sich, so daß es an die Wand zu den alten Zeitungen zu liegen kam, und rief im frohesten Tone aus:
"Hier hast du es, Effendi, alles, alles! Den 'Leidensweg', die 'Biographie' und vor allen Dingen auch die 'Rechtfertigung', die ich keinem einzigen Menschen hier auf Erden schuldig bin! Verbrenne es, sobald du kannst, dort mit den Zeitungs-Makulaturen! Ich habe dich endlich, endlich nun begriffen:
  Wenn mich die Menschheit aus den Thoren stößt,
    Um mich, den Menschen, an das Kreuz zu schlagen,
  So wurde ich von meiner Schuld erlöst;
    Sie aber hat die ihre noch zu tragen!"
Nun richtete er seine Gestalt hoch auf. Auf seiner Stirn drohte plötzlich der heiligste, unerbittlichste Ernst. Aus seinen Augen flammten Zornesstrahlen und seine Stimme klang in ihrer tiefsten Tiefe, als er fortfuhr:
"Hatte ich 'meinen Leidensweg' zu gehen, oder hatte ich meine Feinde aufzufordern, sich um ihre eigenen Balken, nicht aber um meine Splitter zu bekümmern? Von welchem Monarchen oder von welchem Herrgott waren sie beauftragt, über mich zu Gericht zu sitzen? Standen sie etwa als erhabene Geister in unermeßlicher Ferne über mir? Nein! Denn dann hätten sie gar nicht auf mich geachtet! Sie waren Dochte, grad wie ich, weiter nichts; ja, sie hatten nicht einmal eigenes Oel, sondern sie zehrten von dem meinigen! Und grad das ist es, was sie kennzeichnet! Wenn sich niemand findet, von dessen Fehlern sie leben können, wird es in ihren Laternen dunkle Nacht. Aber haben sie einmal Einen gefunden, den lassen sie jahrelang nicht los, um ihn so vollständig zu verschlingen, wie einst die sieben magern die sieben fetten Kühe im Traume Pharaos! Wenn dann der Geist im Lande teuer wird, so sind doch wenigstens sie vom Hungertod gerettet – – – zum ewigen Heil der ganzen Nation! Mußte ich mich von ihnen auf die Hörner nehmen lassen? War ich gezwungen, mich meiner Fehler wegen von den Sünden Anderer aus einer Welt treiben zu lassen, auf welche ich wenigstens ein ebenso großes Anrecht besaß wie sie? Welches innere oder äußere Gesetz kann mich wohl verurteilen, unter Millionen der Einzige zu sein, der seine Fehler willig auf sich nimmt, während die Uebrigen, bis an den Hals tief in den ihrigen steckend, ihre schadenfrohe Augenweide an mir haben? Und nun sie mich für gestorben und begraben halten, ist es da nicht eine beinahe unfaßbare Schande für mich, hier in meinem 'Grabe' herumzuwimmern, anstatt mich kräftig zu regen, um die Steine desselben auseinander zu sprengen?"[2]

Das Poem hat sein Gegenstück in Wenn dich die Welt aus ihren Thoren stößt.

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV sind in der Bücherdatenbank zu finden.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65888 (vgl. KMW-V.4, S. 176).
  2. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65888–65890 (vgl. KMW-V.4, S. 176 f.).

Weblinks[Bearbeiten]