Der See denkt jetzt in tiefer Andacht nach (Gedicht)

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Der See denkt jetzt in tiefer Andacht nach ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

"Der See denkt jetzt in tiefer Andacht nach,
Was er vom Herrn wohl mit der Sonne sprach.
  Sie schaute ihm dabei ins Herz hinein.
  Woher mag wohl der Blick gewesen sein?
Und sieht er, daß in seiner klaren Flut
Das Bild des ganzen, ganzen Himmels ruht,
  So sendet er der Sonne Blick und Licht
  Auch mir ins Herz als Lob- und Dankgedicht."[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht ist in Karl Mays Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV (1903) enthalten, die zum Spätwerk des Schriftstellers gehört. Der Ustad spricht es dem Ich-Erzähler zu:

Es ist eine meiner Eigenheiten, so viel wie möglich im Freien zu arbeiten, selbst auch des Abends und des Nachts. Ich kann sagen, daß ich meine glücklichsten, geistig belebtesten und fruchtbarsten Zeiten auf den platten Dächern des Morgenlandes verlebt habe. Wer des Nachts unter funkelndem Sternenhimmel von den Dächern Siuts hinauf nach der Höhe des Stabl Antar, von Jerusalem hinüber nach Mar Eljas, von Tiberias über den Genezareth, vom herrlichen Brummana des Libanon hinunter auf die Lichter und den Hafen von Berut geschaut hat, dem werden diese Stunden lebenslang im Gedächtnisse bleiben. Und nun auch hier vom hohen Hause aus der unbeschreiblich schöne Blick hinaus und hinein in die orientalische Nacht, die nicht so, wie die abendländische, nur vom Abend nach dem Morgen schreitet, sondern vom Paradiese nach dem Paradiese wandelt!
Da hörte ich ein Geräusch. Ich schaute mich um und sah den Ustad, welcher bei mir eingetreten war. Er bemerkte, daß ich mich auf dem Vorplatze befand, und kam heraus. Ich lehnte an der Brüstung. Er sagte nichts. Die Hände auf die Steine vor uns legend, schaute er still auf den See hinab. Ich hörte seinen Atem leise gehen. Da, nach einer kleinen Weile wendete er sich mir halb zu und sprach, nach unten deutend:
  Der See denkt jetzt in tiefer Andacht nach, [...]
Wie seltsam! Soeben waren ganz ähnliche Gedanken in mir aufgestiegen! Doch sagte ich nichts. Ich konnte kein Wort finden, welches wert gewesen wäre, jetzt gesprochen zu werden. Dieses Gedicht war im jetzigen Augenblick in ihm entstanden. Daß er es sofort in laute Worte gefaßt hatte, war mir ganz selbstverständlich. Jeder Dichter pflegt das zu thun. Er wendete sich wieder ab und sagte nach kurzer Pause, an seine letzten Worte anknüpfend:
"Es war ja heut ein Tag des Lobes und des Dankes. Er ist für mich noch nicht vorüber; er hallt noch in mir nach. Du warst dem leiblichen Sterben nahe, bist aber noch vor dem Tode wieder auferstanden. Darum zogen wir hinauf zu unserm Haus des Herrn."[2]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV sind in der Bücherdatenbank zu finden.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65673 (vgl. KMW-V.4, S. 7 f.).
  2. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65672–65674. (vgl. KMW-V.4, S. 7 f.).

Weblinks[Bearbeiten]