Es kam ein Sonnenstrahl zum Monde nieder (Gedicht)

Aus Karl-May-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Es kam ein Sonnenstrahl zum Monde nieder ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

"Es kam ein Sonnenstrahl zum Monde nieder
  Und hielt mit seinem Glanze bei ihm Rast,
Doch mit der Morgenröte ging er wieder
  Und wurde dann der Erde Tagesgast.
Da sprach der Mond: Was soll ich um ihn trauern?
  Ein Scheiden giebts im Licht, doch keinen Tod.
Es wird nur wenig, wenig Stunden dauern,
  Da kehrt der Freund zurück im Abendrot!"[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht ist in Karl Mays Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen III (1902) enthalten, die zum Spätwerk des Schriftstellers gehört. Es ist dort Teil einer Erzählung, die Pekala dem Ich-Erzähler vorträgt:

"Es war am Abend; draußen vor der Küche, wo die Tarfasträucher[2] ihre langen, niedlich blühenden Zweige über mich senkten, als ob sie Erbarmen mit meiner Trauer hätten, denn ich weinte leise vor mich hin und wünschte mir den Tod. Da kam Tifl, ebenso leise, leise, denn mein Schluchzen war ihm heilig. Er lehnte sich neben der Tarfa an die Mauer und sagte lange, lange nichts, kein Wort. Kein Laut war ringsum zu hören; in mir nur sprach die Sehnsucht nach dem Tode fort und fort in trostlosen Klagelauten. Da plötzlich ertönte die Stimme 'des Kindes' neben mir, halblaut, langsam, feierlich. Wie klang sie doch? Ganz anders als wie sonst! So hoch von oben! Als ob eine gütige Fee aus 'Alif leïla wa leïla'[3] da über den Zweigen schwebe und von ihrer schönen, lichten Heimat zu mir sprechen wolle. Meine Thränen stockten. Ich lauschte."
Pekala machte eine Pause. Ihre Augen suchten das nahe Rosengebüsch. Sie sann. Welch einen Ausdruck hatte jetzt ihr Gesicht! Als ob die Fee jetzt wieder bei ihr sei und ihr mit lieber Hand verschönernd und durchgeistigend über die Wangen gestrichen habe! Dann fuhr sie fort:
  "Es kam ein Sonnenstrahl zum Monde nieder
    Und hielt mit seinem Glanze bei ihm Rast,
  Doch mit der Morgenröte ging er wieder
    Und wurde dann der Erde Tagesgast.
  Da sprach der Mond: Was soll ich um ihn trauern?
    Ein Scheiden giebts im Licht, doch keinen Tod.
  Es wird nur wenig, wenig Stunden dauern,
    Da kehrt der Freund zurück im Abendrot!"
Sie schwieg und sah mich eigentümlich fragend an. Ich muß gestehen, daß ich zögerte, zu sprechen. Das war nicht, wie ich erwartet hatte, ein orientalisches Märchen, keine heidnische Sage, kein christliches Gleichnis. Wie sollte ich es nennen, wie rubrizieren? Aber war es denn so außerordentlich notwendig für mich, der nun sofort mit irgend einem Schema herbeistürzende Abendländer zu sein? Die Strophe wirkte ganz genau so, wie es der Dichter beabsichtigt hatte. Wer aber war dieser Dichter? Sie hatte von der Art und Weise des Ustad gesprochen, auf seine Leute einzuwirken. Geschah es vielleicht durch solche Gedichte, welche selbst von der Jugend sehr leicht verstanden und auswendig gelernt werden konnten?
"Hast du gehört, was ich gesprochen habe?" fragte sie, als ich so lange still war und nichts sagte.
"Jawohl, meine liebe Pekala," antwortete ich.
"Und auch verstanden?"
"Gewiß."
"Ich kann es nicht so sagen, wie es damals klang. Man muß die Augen voller Thränen um einen lieben Abgeschiedenen haben, um es so zu hören, wie es gehört werden soll. Und es muß mit einer Stimme gesprochen werden, die aus einem so kindlich gläubigen Herzen klingt, wie dasjenige meines Pfleglings damals war und heute noch ist und immer bleiben wird. Er fügte nichts hinzu, kein Wort, kein einziges. Er lehnte noch einige Zeit still an der Mauer und ging dann fort, so leise, leise wie er gekommen war. Ich aber saß noch lange, lange unter den überhängenden Tarfazweigen, und es wurde ruhig und immer ruhiger in mir. Meine Thränen hatten aufgehört, zu fließen; meine Todessehnsucht schwieg. Ich sah durch die langen, feinen Blütenrispen hindurch den Mond am Himmel stehen. Der Sonnenstrahl war bei ihm: ich sah ihn leuchten. Unten bei mir, auf der Erde, war es dunkel. Aber morgen, morgen wird alles, alles um mich her im Sonnenglanze strahlen. Auch der Strahl ist dabei, den ich liebe, nach dem ich mich sehne. Oh, Effendi, Effendi, ob mein Auge dann wohl so geöffnet ist, daß ich im stande bin, ihn zu erkennen?"[4]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen III sind in der Bücherdatenbank zu finden.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen III. In: Karl Mays Werke, S. 65386 (vgl. KMW-V.3, S. 424).
  2. Tamarisken.
  3. "Tausend und eine Nacht".
  4. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen III. In: Karl Mays Werke, S. 65385–65387 (vgl. KMW-V.3, S. 423–425).

Weblinks[Bearbeiten]