Tal der Dschamikun

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Tal der Dschamikun
im Werk Karl Mays
Weltkarte1911.jpg

Im Reiche des silbernen Löwen III
Im Reiche des silbernen Löwen IV

Das Tal der Dschamikun (Legende im Bild)

Das Tal der Dschamikun ist der Wohnsitz einer Unterabteilung (tir) des Kurden-Stammes der Dschamikun in Persien. Es ist ziemlich unzugänglich (unter anderem durch das Tal des Sackes) und abgelegen; eine uralte Ruine, das Haus des Ustad, der Rosentempel und das hoch über allem thronende "Alabasterzelt" sind die Blickpunkte. Hier ereignen sich die symbolischen Erzählungen des Spätwerkes Im Reiche des silbernen Löwen III und IV.

Im Reiche des silbernen Löwen[Bearbeiten]

Nun sah ich zum erstenmal die Gegend, in welcher wir uns befanden. Sie mußte auch jedem, der nicht Rekonvaleszent war, als ein Paradies erscheinen.
Von da, wo ich mich befand, führten zwölf Stufen auf eine weite, grasige Terrasse hinab, auf welcher Assil und Barkh spazieren gingen oder vielmehr spazieren sprangen. Sie war von Blumenbeeten und blühenden Rosenbäumchen eingefaßt. Mehrere hoch- und breitkronige Dilbiplatanen breiteten schützend ihre Wipfel über diesen freien Platz, von welchem ein gut unterhaltener Zickzackweg hinab zur Sohle des Thales führte. Das Haus des Ustad stand hoch auf stolzer Höhe. Es war auf gewaltigen, altpersischen Mauerresten errichtet und glich mehr einer Burg als einem Wohngebäude. Das vor mir liegende Thal [...] war wohl eine Wegesstunde lang und halb so breit. In der Mitte flimmerten die vom Windeshauche bewegten Wellen eines Sees, welcher rundum von saftig grünem Weideland umgeben war. Ich sah da Pferde, Maultiere, Kamele, Rinder und eine Menge Kleinvieh grasen. Hieran schlossen sich wohlbebaute Felder, welche bis an die rings emporragenden Berge reichten, an denen sich Wein-, Maulbeer-, Frucht- und Blumengärten bis da hinaufzogen, wo der Wald sich seiner Herrschaft nicht berauben ließ. Ich sah lebhafte Wasser von den Höhen fließen, um ihren Weg zum See zu suchen, auf dem - ein Wunder hier in Persien! - ein kleines Boot sein helles Segel blähte. Ueberall standen Häuser, meist mit platten Dächern, aus festen Steinen aufgeführt und freundlich weiß getüncht. Sie wurden im Winter bewohnt. Für die jetzige Jahreszeit hatte man luftige Zelte errichtet oder auf den Dächern aus Laub und Stangen Hütten gebaut, in denen man des Nachts zu schlafen pflegte. [...] Die Berge erreichten hier eine solche Höhe, daß ihnen der Wald nicht ganz hinauf zu folgen vermochte. Die Kuppen bildeten alpine Weiden, auf denen die dort grasenden Ziegen dem Auge als ganz winzige Tüpfelchen erschienen.
Die Mehrzahl der Häuser und der Zelte lag im Vordergrunde, von welchem aus ein breiter, straßenähnlicher Weg hinauf nach einem Felsenvorsprunge führte, wo ich ein Bauwerk liegen sah, dessen Stil meine Verwunderung erregte. Es war ein nach allen Seiten offener Tempelbau, dessen Dach nur von Säulen, nicht von geschlossenen Wänden getragen wurde. Es gab kein einziges Zeichen, welches verriet, welcher Art von Verehrung es zu dienen habe. Ich sah nur die Säulen und das Dach, sonst weiter nichts. Es gab keinen Altar, keinen einzigen Sitz, keinen Rednerstuhl. Aber an allen Säulen rankten sich blühende Kletterrosen und andere Schlingpflanzen empor, und der ganze Platz rund um den Tempel bildete einen sichtlich mit großer Liebe gepflegten Blumengarten, durch welchen zahlreiche, mit reinlichem Sand bestreute Wandelgänge führten.[1]
Auf der Spitze des Berges, hoch über der ganzen Umgegend, doch auf bequemen Pfaden zu erreichen, da, wo der klare Himmel sich für das Auge auf die grüne Alpe legte, stand in andächtiger Erdenstille ein nach vier Seiten offenes, weitgespanntes, weißes Leinwandzelt. So schien es mir beim ersten Blick. Aber die vermeintliche Leinwand empfing die Strahlen der über ihr stehenden Sonne nur, um sie in so wunderbarer Weise in das Thal herniederzubrechen, daß ich mein Auge mit der Hand beschirmte, um das flimmernde Licht von ihnen abzuhalten. Da sah ich freilich, daß es nicht Leinen, sondern, man denke, Alabaster war.[2]

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen III. Band 28 der Gesammelten Reiserzählungen, Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld, Freiburg 1902, S. 282-284.
  2. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen III. Band 28 der Gesammelten Reiserzählungen, Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld, Freiburg 1902, S. 510.