Sage vom Maha-Lama-See
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Die Sage vom Maha-Lama-See wird in Karl Mays Alterswerk "Der Mir von Dschinnistan" vom Mir von Ardistan seinen Mitgefangenen in der "Stadt der Toten" erzählt:
- " Das war zur Zeit, als der Nebenfluß noch nicht zugebaut, sondern offen war. Damals gab es einen Maha-Lama, welcher der berühmteste von allen war, die es bisher gegeben hatte. Sein Volk liebte ihn, aber der Teufel haßte ihn. Er war hundert Jahre alt geworden und ging an seinem Geburtstage am Ufer des Flüßchens spazieren. Indem er dies tat, dachte er: " Könnte ich doch noch hundert Jahre leben; wie glücklich wollte ich meine Untertanen machen! " Da stand der Teufel vor ihm und sprach: " Du kannst, wenn Du willst! " Er hob die Hand. Da gab es einen entsetzlichen Krach, daß die ganze Erde bebte. Sie tat sich vor dem Maha-Lama auseinander. Es entstand ein tiefer, weiter Krater, in dem das Flüßchen sofort verschwand, und rund um seinen Rand stiegen steile, schroffe Felsenmauern auf, die ihn rund umschlossen. Kein Menschenfuß konnte über sie hinweg. Der Maha-Lama war sehr erschrocken; der Teufel aber sprach: " Beruhige Dich; es geschieht Dir nichts. Ich bin gekommen, Dir Deinen Wunsch zu erfüllen, nicht aber, Dich zu vernichten. Du sollst genau noch hundert Jahre leben, und Dein Volk soll noch glücklicher sein als jetzt. Dafür verlange ich nur eins von Dir. " Der Maha-Lama fragte, was das sei. Der Teufel antwortete: " Das Wasser des Flüßchens, welches jetzt in diesem Krater zu verschwinden scheint, wird in ihm emporsteigen, so daß ein See entsteht. In diesem See ersäufst Du alle Menschen, die Dich beleidigen und kränken. Weiter verlange ich nichts von Dir. " Da lachte der Maha-Lama und sprach: " Darauf kann ich eingehen, denn es gibt keinen einzigen, der mich beleidigt oder kränkt; sie lieben mich alle. Werde ich trotzdem noch hundert Jahre leben, wenn ich auf Dein Verlangen eingehe? " " Ja, sogar noch länger als hundert Jahre. Du wirst leben, bis Du so viel Menschen in den See geworfen hast, daß er austrocknet und wieder verschwindet. Beleidigt Dich keiner, so hast Du keinen zu ersäufen. Beleidigt Dich aber einer und Du ersäufst ihn nicht, so stirbst Du augenblicklich, und Deine Seele ist mein für alle Ewigkeit. " In seinem Wunsche, noch hundert Jahre älter zu werden, unterschrieb der Maha-Lama diesen Pakt mit seinem Blute. Er war überzeugt, keinen einzigen Menschen opfern zu müssen, weil sie alle ihn bisher liebten. Aber als man die plötzlich emporgestiegene, unübersteigbare Felsenmauer sah und daß hinter ihr der Fluß verschwunden war, der so viele Leute ernährte, gab es doch einen, der die Schuld auf den Maha-Lama warf, der sich, als es geschah, an der Unglücksstelle befunden hatte. Dieser wollte ihm verzeihen; er war dies ja so gewöhnt. Da aber erschien ihm der Teufel, zeigte ihm den verborgenen Weg zum See, den nur er, doch kein anderer, finden konnte, und gab ihm nur einen einzigen Tag Zeit, entweder diesen Mann zu ersäufen, oder selbst zu sterben und seine Seele zu verlieren. Da gehorchte der Maha-Lama. Der Mann verschwand heimlich und wurde nicht wieder gesehen. Das erregte Verdacht gegen den Maha-Lama. Man gab diesem Verdachte Worte, doch wer dies tat, verließ sein Haus und kehrte nicht wieder zurück. Dadurch steigerte sich der Verdacht zur Gewißheit. Die Anhänger verwandelten sich in Gegner, die Freunde in Feinde, und endlich wurde er ebenso allgemein gefürchtet und gehaßt, wie man ihn früher achtete und liebte. Das Wasser hatte schon längst den See gefüllt und sich einen Durchbruch nach seiner früheren Mündung gebohrt, und es mehrten sich die Unglücklichen, die, an schwere Steine gebunden, in die Tiefe gesenkt wurden. Der erst fast grundlose Krater füllte sich. Der See wurde immer seichter und seichter. Und noch waren die hundert Jahre lange nicht vorüber, so war kein Platz mehr für die Leichen vorhanden. Sie wurden von dem Flüßchen aus dem nun völlig angefüllten See heraus an die Öffentlichkeit geschwemmt, und dadurch kam der vieltausendfache Mord an den Tag. Der Maha-Lama war zum Wüterich, zum Heuchler, Lästerer und Verbrecher geworden, und das Volk trat zusammen, um ihn zu züchtigen. Der Teufel aber kam zuvor und holte ihn, weil dies eine Beleidigung für ihn war, die er nicht bestrafte. Die durch Teufelskraft aus der Erde emporgestiegenen Felsenmauern waren gemieden und gehaßt gleich vom ersten Tage an; aber als man erfuhr, was sich hinter ihnen ereignet hatte, waren sie es doppelt. Und als nun später gar das Nebenflüßchen mit dem großen Strome verschwand und über die ganze Stadt und ihre Umgegend der Tod und die Wüste kam, da erzählte man sich, daß in jeder Nacht, sobald es dunkel geworden ist, der Geist des Maha-Lama am Ufer seines ausgestorbenen Sees erscheine, um auf einen Helfer zu warten, der ihn von seinen Höllenqualen erlöst."[1]
Kara Ben Nemsi kann den Mir davon überzeugen, dass diese Überlieferung eine Lüge ist und dass jener Maha-Lama Abu Schalem in Wirklichkeit im Auftrag des Mir von Dschinnistan die Vorratskammern in der "Stadt der Toten" angelegt und die Brunnenengel errichtet hatte. Er war "der berühmteste, gerechteste und gütigste aller Maha-Lamas" und ist der Vorsitzende der "Dschemma der Toten" und der "Dschemma der Lebenden".
Anmerkungen[Bearbeiten]
- ↑ Karl May: Der Mir von Dschinnistan. Deutscher Hausschatz 1908/09, 6. Kap., S.236 f.