Kolutschin
Kolutschin im Werk Karl Mays | |
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Kolutschin ist ein Ort, über den Karl May im Orientzyklus die Reiseroute seiner Helden Kara Ben Nemsi, Halef, Omar Osko und David Lindsay führt. Letzeren sowie dessen Dolmetscher hatte Kara Ben Nemsi kurz zuvor in der Juwelenhöhle aus den Fängen des Schut befreit. Sie befinden sich auf dem Weg nach Rugova, um dort den Schut dingfest zu machen.
- Der zurückgelegte Weg war uns durch die mitgenommenen Pferde doppelt beschwerlich gewesen. Jetzt hatten wir große Mühe, sie über den Fluß zu bringen. Wir mußten sie einzeln hinüberreiten. Erfreulicherweise bot von da an der Weg keine Schwierigkeiten mehr. Es ging über eine grasige Ebene und dann sanft bergan, bis wir angebaute Felder erreichten und dann Kolutschin am Fuß des dort beginnenden Bergzuges liegen sahen. Von Gurasenda und Ibali kam linker Hand die Straße herab, an welcher das Dorf lag.[1]
In Kolutschin suchen die Gefährten den Steinbrucharbeiter Dulak auf. Dulak ist ein Freund von David Lindsays Dolmetscher, der bei der Juwelenhöhle zur Bewachung der gefangenen Verbrecher zurückgeblieben war und reitet zusammen mit seinem Bruder zur Juwelenhöhle, um ihn zu unterstützen.
Gleich hinter Kolutschin haben sich die Aladschy mit neun weiteren Mitgliedern ihrer Bande so in den Hinterhalt gelegt, dass die Gefährten dem Kampf nicht ausweichen können, obwohl sie durch Dulak vorgewarnt waren. Sie bestehen diesen Kampf ohne größere Verletzungen. Kara Ben Nemsi macht die beiden Aladschy dauerhaft kampfunfähig; sie spielen im Rest der Erzählung keine Rolle mehr.
May hat sich bei diesem Ort — wie alle anderen in den letzten drei Bänden des Orientzyklus, mit Ausnahme von Bu-kiöj — auf die „Generalkarte der Balkanhalbinsel“ von Friedrich Handtke aus dem Jahr 1878 gestützt,[2] wo er allerdings als Kolastschin bezeichnet ist. In den meisten anderen Karten heißt er Kolatschin. Die Schreibweise Kolutschin ist außer bei May nirgends zu finden.
Die Darstellung Kolastschins in Handtkes Karte hat ihren Ursprung in dem Bericht, den der Erzbischofs von Antivari, Marino Bizzi, über seine Visitationsreise im Jahr 1610 anfertigte. Bizzi besuchte, oft unter Lebensgefahr, die katholischen Gemeinden des Drin-Gebiets. Er stand zwar, unter anderem mittels eines Ferman, unter dem Schutz der türkischen Obrigkeit; ein sicheres Reisen gewährte dieser Schutz angesichts der zahlreichen, den türkischen Kräften oft überlegenen Räuberbanden aber nicht. Auch Kolsh (unbestimmte Form; bestimmte Form: Kolshi) war ein Ziel seiner Reise und er beschreibt seine ungefähre Lage. Außer der Tatsache, dass es nur noch einen alten, fast blinden Priester dort gab, der keine Messe mehr las, erfährt man nichts weiter über Kolsh. Im Jahr 1688 veröffentlicht der Franziskanermönch Vincenzo Maria Coronelli seine Karte Corso delli Fiumi Drino, e Boiana nella Dalmatia, in die er neben Bizzis Bericht noch die zweier weiterer katholischer Geistlicher einfließen lässt. Diese Karte zeigt nicht nur zahlreiche Dörfer — unter anderem Kolsh als Collasci (italienisch auszusprechen, wie „Kolaschi“) — zum ersten Mal, sondern sie ist hier auch von ungewöhnlich hoher Genauigkeit. Collasci wird korrekt nahe dem Zusammenfluss der beiden Drin dargestellt, links des Schwarzen Drins und des vereinigten Drins, jedoch ein wenig zu weit südlich.
Innerhalb weniger Jahre, noch im 17. Jahrhundert, geraten aber offenbar sowohl seine Karte als auch Bizzis Bericht in Vergessenheit, und die Qualität der Karten macht einen großen Rückschritt, der über mehr als das ganze 18. Jahrhundert anhält. Collasci ist während dieser Zeit in keiner Karte mehr zu finden.
Erst im Jahr 1819 greift der englische Kartograph Aaron Arrowsmith mit seiner Karte Outlines of Greece wieder auf Coronellis Karte zurück und übernimmt auch Kolsh in der Schreibweise Colasci.
Offenbar aufgrund falscher phonetischer Transkription wandelt sich in den folgenden Jahren der Name in französischen Karten zu Colastchi und in deutschen zu Colastschi. Im Jahr 1840 veröffentlicht der deutsch-französische Wissenschaftler Ami Boué die Ergebnisse seiner Balkanreise. Darin erwähnt er einen am Schwarzen Drin gelegenen Ort namens Kolatschin. Gemeint ist Kolesjan nahe dem rechten Ufer des Schwarzen Drin, denn über diesen Ort führt die von Süden her den Fluss herab kommende Straße. Ab 1853, mit Heinrich Kieperts General-Karte von der Europäischen Türkei, setzt sich das „n“ am Ende des Namens durch, meist in Kolatschin, gelegentlich auch Kolastschin. Dargestellt wird der Ort aber weiterhin links des Schwarzen Drin, ebenso wie die Straße, die in der Wirklichkeit aber rechts lag.
Bis zum Jahr 1863 war der gesamte Verlauf des Schwarzen Drin und der größte Teil des vereinigten Drin aus geografischer Sicht vollkommen unerforscht. Den damaligen Karten lagen neben den aus der Antike überlieferten Karten nur einzelne Reiseberichte und die Intuition, teils auch die Phantasie der Kartographen zugrunde. Aus diesem Grund finanzierte die österreichische Kaiserliche Akademie der Wissenschaften Johann Georg von Hahns Reise durch die Gebiete des Drin und Vardar. Im Sommer 1863 war von Hahn der erste Westeuropäer, der die den Schwarzen Drin begleitende Straße in ihrer gesamten Länge von der Drin-Vereinigung flussaufwärts bis zum Austritt aus dem Ohridsee erkundete. Aus den sehr detaillierten, von vereinzelten astronomischen Ortsbestimmungen gestützten Aufzeichnungen von Hahns erstellte Heinrich Kiepert seine 1867 veröffentlichte Karte der Flußgebiete des Drin und des Wardar. Dementsprechend ist sie die erste, in der Kolatschin fehlt und Kolesjan (in der bestimmten Form Kolesjani) und die Straße korrekt auf der östlichen, rechten Seite des Schwarzen Drin dargestellt werden. August Petermann folgt mit seiner Karte Die Europäische Türkei im Jahr 1869, aber es dauert noch etliche Jahre, bis sich das allgemein durchsetzt. Insbesondere Friedrich Handtke, auf dessen Karte von 1878 sich Karl May stützt, widersetzt sich den neuen Erkenntnissen und zeigt noch in der von 1885er-Ausgabe seiner Generalkarte der Balkanhalbinsel dasselbe falsche Bild wie Kiepert 1853. Erst die Tätigkeit der Militärgeographen im Rahmen des Ersten Weltkriegs sorgt für insgesamt zuverlässige Karten, in denen sowohl Kolsh als auch Kolesjan lagerichtig dargestellt sind.
Für die Identifikation eines realen Ortes mit Karl Mays Handlungsort Kolutschin kommen also wegen der fehlerhaften Karte sowohl Kolsh als auch Kolesjan infrage: für Kolsh spricht die Tatsache, dass es auf der westlichen Seite des Drin liegt, für Kolesjan die, dass die Straße nach Rugova über diesen Ort führte.
Kolsh war bis Anfang der 1970er Jahre ein kleines Dorf in Albanien. Es lag im Tal des vereinigten Drin an dem Flüsschen Përroi i Leshnicës, einem linken Nebenfluss des Drin, rund einen Kilometer von dessen Mündung in den Drin entfernt; und rund 1,5 Kilometer westlich der Drin-Vereinigung. Vor der Flutung des Fierza-Stausees wurde es in höherer Lage rund 4 Kilometer südwestlich des ursprünglichen Standorts neu errichtet und später der Stadt Kukës eingemeindet. Heute weist die Ortschaft rund 30 Häuser auf.
Kolesjan ist ein aus rund 40 verstreut liegenden Häusern bestehender Weiler in der Gemeinde Bicaj im albanischen Bezirk Kukës. Er liegt 3 Kilometer östlich des Schwarzen Drin und 12 Kilometer südlich der Stadt Kukës an der Drin-Vereinigung.
In der Region gibt es mehrere Orte, von denen vermutet wird, dass ihre Namen wie die von Kolsh und Kolesjan auf den Clan der Colascinier zurückgehen, der die Gegend um die Drin-Vereinigung und den Weißen Drin hinauf beherrschte, jedoch seit langer Zeit erloschen ist.
Literatur / Karten[Bearbeiten]
- Armao, Ermanno: Località, chiese, fiumi, monti, e toponimi varii di un'antica carta dell'Albania Settentrionale Istituto per l'Europa Orientale, Roma 1933
- Almagià, Roberto: Le più antiche rappresentazioni cartografiche della regione albanese. In: Boll. Soc. Geogr. Ital., Roma 1914. S. 601-637
- Bizzi, Marino Relazione della visita fatta da me Marino Bizzi, arcivescovo di Antivari, nelle parti della Turchia, Antivari, Albania e Servia nell'anno 1610. veröffentlicht durch Franjo Rački in: Starine Band XX, Zagreb 1888 S. 50-156.
- Boué, Ami: La Turquie d’Europe (4 Bände) Arthus Bertrand, Paris 1940
- Nopcsa, Franz: Zur Geschichte der okzidentalen Kartographie Nordalbaniens. In: Geologica Hungarica. Serie Geologica. Band III. Budapest 1929, S. 652-703
- Pouqueville,François: Voyage dans la Grèce, Tome Troisième deuxième édition, Firmin Didot Père et Fils, Paris 1826
- von Hahn, Johann Georg: Reise durch die Gebiete des Drin und Wardar, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, Wien 1867
- Coronelli, Vincenzo Maria: Corso delli Fiumi Drino, e Boiana nella Dalmatia Republica di Venezia 1688
- Arrowsmith, Aaron: Outlines of Greece, And Adjacent Countries, With Modern and Ancient Names London 1819
- Kiepert, Heinrich: General-Karte von der Europäischen Türkei Dietrich Reimer, Berlin 1853
- Kiepert, Heinrich: Karte der Flußgebiete des Drin und des Wardar, Nord-Albanien u. West-Macedonien Berlin 1867
- Petermann, August: Die Europäische Türkei Justus Perthes, Gotha 1869
- Handtke, Friedrich: Generalkarte der Balkanhalbinsel. C. Flemming, Glogau 1878. (Inventar-Nr. KK041 in Karl Mays Bibliothek)
- Handtke, Friedrich: Generalkarte der Balkanhalbinsel. C. Flemming, Glogau 1885.
Anmerkungen[Bearbeiten]
- ↑ Karl May: Durch das Land der Skipetaren. In: Deutscher Hausschatz in Wort und Bild, 14. Jahrgang 1887/1888, Heft 15, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 670.
- ↑ )Schönbach, Ralf: „Zu einem guten Kartenleser gehört schon Etwas...“. Die Quellen der Balkan-Romane Karl Mays. In: Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer (Hrsg.): Karl Mays Orientzyklus. Karl-May-Studien Band 1. Igel Verlag Paderborn 1991, S. 202–218. (Onlinefassung)
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